„Freiheit vs. Sicherheit“ – ein Thema, das alle betrifft

Veröffentlicht von Seminar Grimme Online Award 2016 am

Bei der Aufnahme vor dem Paul-Löbe-Haus: v.l.n.r. Jonas Schönfelder, Felix Betzin, Daniel Lücking, Andre Meister

Seit 2014 befasst sich ein regelmäßig tagender Untersuchungsausschuss mit den Enthüllungen des US-amerikanischen Whistleblowers Edward Snowden. Der Deutsche Bundestag ist weltweit das einzige Parlament, welches einen solchen Ausschuss einsetzt. Daher ergibt sich die einmalige Chance detaillierte Informationen zu dem Thema zu erlangen und politisches Geschehen hautnah mitzuerleben. Das Projekt Technische Aufklärung: Der Podcast zum deutschen Geheimdienst-Untersuchungsausschuss ist für den Grimme Online Award 2016 in der Kategorie Information nominiert. Medien-Produzent Felix Betzin und Journalismus-Student Jonas Schönfelder berichten in diesem Podcast über die öffentlichen Sitzungen des Untersuchungsausschusses. Neben Stellungnahmen und Aussagen von Politikern wird die Stimmung im Saal wiedergegeben und gemeinsam mit wechselnden Teammitgliedern jeder Sitzungstag zusammengefasst und das Gesagte kommentiert. Zusätzlich finden Sondersendungen zu speziellen Themen statt. Dabei stellen sie sich oftmals die Frage, wie viel Freiheit der Bürger einer Gesellschaft abgeben sollte, um dafür Sicherheit zu erlangen. Jonas Schönfelder erläutert im folgenden Interview, was dieses Projekt so interessant macht und warum jeder Bürger von der Thematik betroffen ist.

Wie entstand das Projekt „Technische Aufklärung: Der Podcast zum deutschen Geheimdienst-Untersuchungsausschuss“?

Das Projekt entwickelte sich aus unserem gemeinsamen Interesse an Podcasts. Bereits seit mehreren Jahren nutzen wir dieses Medium und produzieren auch eigene Podcasts. Im Jahr 2013 kam es dann zu den Enthüllungen Edward Snowdens. Die dabei öffentlich aufkommende Debatte um das Ausmaß der staatlichen Überwachung und die damit einhergehenden Diskussionen empfanden wir als äußerst interessant. Zu Beginn verfolgten wir den Untersuchungsausschuss und die diesbezügliche Berichterstattung lediglich in den Medien. Im Juni 2015 kontaktierte ich dann Felix mit der Idee, in Eigenregie einen Podcast über diesen Untersuchungsausschuss zu produzieren. Der Untersuchungsausschuss bestand zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem Jahr. Daher starteten wir innerhalb einer Woche und produzierten die erste Folge bereits zur nächsten Sitzung, um keine Zeit zu verlieren.

Verfolgen Sie ein bestimmtes Ziel mit dem Podcast? Möchten Sie lediglich informieren oder der Öffentlichkeit auch aufzeigen, wie undurchsichtig solche Untersuchungsausschüsse sind?

Im Vordergrund steht auf jeden Fall der Wille zur Information der Hörer/innen. Es gibt online bereits einige Informationsquellen, beispielsweise den Live-Blog von netzpolitik.org oder andere Online-Medien, wie zeit.de. Wir möchten die Berichterstattung jedoch regelmäßig im Audioformat führen. Für uns war es von Beginn an interessant, sich einerseits mit der Thematik im Allgemeinen, andererseits mit den Gegebenheiten im Ausschuss auseinanderzusetzen und die dahinterstehenden politischen Abläufe zu verstehen. Die dabei gemachten Erfahrungen möchten wir gerne teilen. Uns ist wichtig, die Funktionsweise der beteiligten Geheimdienste – national wie international – nachvollziehen zu können. Daher möchten wir den Zuhörern/innen das Gelernte auch im Hinblick darauf weitervermitteln, dass sich insbesondere die deutschen Geheimdienste nicht immer an rechtliche Rahmenbedingungen halten und in einem Maße überwachen, welches eigentlich gesetzlich nicht erlaubt ist.

Was erhoffen Sie sich vom Untersuchungsausschuss?

Zum einen wäre es in unserem Interesse, wenn der Untersuchungsausschuss Fälle aufdeckt, in denen falsche oder gar illegale Geheimdienstarbeit stattgefunden hat oder stattfindet. Der Abschlussbericht nach Einsetzungsantrag sollte außerdem Ratschläge enthalten, was an der momentan noch relativ undurchsichtigen Situation verbessert werden kann. Dies sollte im Idealfall dazu führen, dass Geheimdienste in ihren Tätigkeiten, welche sich als illegal herausstellen, eingeschränkt und diese Tätigkeiten abgestellt werden. Zum anderen besteht durch den Untersuchungsausschuss die Möglichkeit, einer breiten gesellschaftlichen Öffentlichkeit die Arbeitsweise der Nachrichtendienste näher zu bringen und zu verdeutlichen, dass sie ständig im Hintergrund arbeiten, ohne dass der normale Bürger dies mitbekommt. Denn diese Vorgehensweise ist vielen Menschen nach wie vor nicht bewusst. Auch wir wussten vor den Enthüllungen Snowdens nicht, wie Geheimdienstarbeit funktioniert. Erst wenn die Erkenntnisse durch den Untersuchungsausschuss die Öffentlichkeit erreicht haben, kann eine Diskussion darüber stattfinden, inwieweit Geheimdienstarbeit in einer Demokratie geduldet wird und welche Punkte eher als kritisch gelten und in einer Demokratie keinen Platz haben.

Bringen Sie uns bitte kurz Ihre Arbeitsweise näher.

Politisches Statement: Konstantin von Notz, Obmann der Fraktion B90/Die Grünen, von der Presse umringt

Politisches Statement: Konstantin von Notz, Obmann der Fraktion B90/Die Grünen, von der Presse umringt; Foto: Technische Aufklärung

Der Hauptteil der Sendungen befasst sich mit konkreten Sitzungen des Untersuchungsausschusses. An diesen nehmen wir im Idealfall zu zweit, ansonsten alleine, teil. Die Sitzungen beginnen vormittags zwischen 9:00 Uhr und 11:30 Uhr und der gesamte Tag spielt sich mit Unterbrechungen im Sitzungssaal ab. Die Sitzungen enden zwischen 19:00 Uhr und 20:00 Uhr – in Ausnahmefällen sogar erst um 24:00 Uhr. Nach Sitzungsende beginnt für uns die technische Arbeit.
Mit einigen weiteren Teammitgliedern, die auch an der Sitzung teilgenommen haben, fassen wir die Geschehnisse des Tages an einem ruhigen Ort zusammen. Dabei ist uns wichtig, neben den Fakten auch die Stimmung, welche im Saal geherrscht hat, wiederzugeben. Denn dazu eignet sich das Audioformat besonders gut. Wenn sich die Zeugen und Abgeordneten in der Sitzung einig sind, ist die Stimmung eher ruhig. Sagen die Zeugen bei der Befragung jedoch nicht so aus, wie sich die Abgeordneten das vorstellen, können diese manchmal etwas forscher reagieren. Diese Dynamik versuchen wir im Podcast kommentatorisch einzuordnen. Wenn alles eingesprochen ist, wird das Material zu Hause schnitttechnisch bearbeitet –  in der gleichen Nacht oder am nächsten Tag.

Warum haben Sie das Format des Podcasts für dieses Thema gewählt und keinen Blog oder Ähnliches?

Die Textform gab und gibt es bereits. Das Tagesgeschehen jeder Sitzung des Untersuchungsausschusses wird beispielsweise von den Bloggerinnen und Bloggern von netzpolitik.org sinngemäß sehr gut verschriftlicht. Interessierte können diese Informationen auf deren Homepage nachlesen. Dies nimmt natürlich aufgrund der Ausführlichkeit einige Zeit in Anspruch. Felix und ich favorisieren jedoch Podcasts. Dieses Format kann von den Hörern/innen passiv konsumiert werden, beim Fahrradfahren, im Auto, in der Bahn oder sogar beim Wäsche-Aufhängen. Der Podcast als Medienform im Audioformat bietet somit klare Vorteile in zahlreichen alltäglichen Situationen.

Wie haben sich das Projekt und die Arbeit daran durch fortlaufende Erkenntnisse verändert?

Die Frequenz der Ausstrahlungen einzelner Sendungen ist immer gleich geblieben, da sie sich nach den Sitzungsterminen des Ausschusses richtet. Unsere Arbeitsweise hat sich jedoch geändert. Zu Beginn des Projektes haben wir mit einigen Beteiligten vor Ort sofort nach der Sitzung gesprochen und diese Gespräche direkt eingeordnet und kommentiert. Daraufhin haben wir zu Hause zusätzlich ein Skript verfasst und dieses ebenfalls eingesprochen. Dabei ist unbedingt darauf zu achten, dass das Gesprochene eben nicht abgelesen klingt, was sehr zeitintensiv war. Mittlerweile sprechen wir alles, was nachher im Podcast zu hören ist, sofort und ohne Skript ein. Beim Schnitt wird im Nachhinein alles entsprechend zur fertigen Sendung zusammengefügt.

Nehmen Sie gerne an den Sitzungen teil? Hat das Ganze vielleicht auch etwas von einem Krimi oder ist es mittlerweile eher langweilig, sodass Sie sich zwingen müssen hinzugehen?

Im Sitzungssaal: Der Zeuge Klaus-Dieter Fritsche vor seiner Vernehmung

Im Sitzungssaal: Der Zeuge Klaus-Dieter Fritsche vor seiner Vernehmung; Foto: Technische Aufklärung

Das Interesse variiert natürlich. Dies ist aber auf jeden Fall abhängig von den Zeugen, von der Stimmung im Ausschuss oder von den Themen, die besprochen werden. Ein Beispiel ist das Thema Selektoren der NSA im Frühjahr und Sommer 2015. Wir saßen im Ausschuss und hatten den Eindruck, dass es tatsächlich um etwas Essentielles ging. Der Zeuge hatte etwas Wichtiges gesagt und die Abgeordneten fragten ganz konkret mehrmals nach. Das sind dann die spannenden Momente, in denen wir uns freuen, dabei gewesen zu sein. Solche Eindrücke sind tatsächlich vergleichbar mit einem Krimi. Ein weiteres Beispiel für eine sehr spannende und aufregende Sitzung ist die Befragung des ehemaligen Drohnen-Operators Brandon Bryant, der als Experte auf diesem Gebiet auf einen langjährigen Erfahrungsschatz zurückgreifen kann.
Andererseits gab es auch Situationen, in denen kaum Neuigkeiten ans Licht kamen. Beispielsweise wurden seitens des Auswärtigen Amtes Zeugen empfohlen, die inhaltlich sehr wenig Neues beisteuern konnten. Natürlich sind die Sitzungen dann sehr anstrengend, aber wir sehen die Teilnahme als unsere persönliche Verpflichtung, die mittlerweile zur Routine gehört und unerlässlich für das Funktionieren des Podcasts ist. Am Ende freuen wir uns über jede weitere erfolgreich abgeschlossene Episode. Wir bekommen zudem kontinuierlich positive Reaktionen von Hörern/innen, die uns bei Twitter oder auf der Webseite für unsere Arbeit danken. Das freut uns natürlich sehr und genau das ist unser Ansporn, weiterzumachen.

Was erhoffen Sie sich, wie es mit dem Projekt weitergeht – auch im Hinblick auf potenzielle neue Projekte?

Der Fokus des Projektes liegt nach wie vor auf dem aktuell stattfindenden Untersuchungsausschuss. Wenn dieser 2017 endet ist das Projekt vermutlich vorerst beendet. Natürlich schließen wir nicht aus, dass wir das Projekt in anderer Form weiterführen, denn das Thema ist sicherlich auch in Zukunft noch interessant. Ob daraus ein neues Projekt entsteht ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehbar. Für uns ist zum aktuellen Zeitpunkt definitiv wichtig, dass wir einiges an Lebenserfahrung und neuen, interessanten Erkenntnissen mitnehmen konnten und weiterhin können. Diese Erfahrungen und Erkenntnisse möchten wir gerne mit unseren Zuhörern/innen – und allen, die uns in Zukunft zuhören möchten – teilen.

Was bedeutet die Nominierung für den Grimme Online Award für Sie? Wie könnte sich ein Gewinn der Auszeichnung positiv auf das Projekt auswirken?

Wir sind total überrascht und erfreut über die Nominierung. Wir haben überhaupt nicht daran gedacht, dass es in irgendeiner Art und Weise eine Nominierung für dieses Projekt geben könnte und sehen sie zum einen als Bestätigung für unsere konstante Berichterstattung seit knapp einem Jahr. Ein Gewinn würde dem Ganzen natürlich die Krone aufsetzen und für uns ein hohes Maß an Anerkennung bedeuten. Zum anderen erhoffen wir uns durch die Nominierung, dass noch mehr Leute auf das Projekt und auf die Thematik des Untersuchungsausschusses im Allgemeinen aufmerksam werden und sich damit auseinandersetzen. Unser Ziel ist es, die Allgemeinheit dafür zu interessieren, denn die gesamte Thematik um Überwachung und Geheimdienstarbeit sollte eine Gesellschaft auf jeden Fall beschäftigen. Es stehen momentan ganz elementare Fragen in Bezug auf die Freiheit einer Gesellschaft zur Diskussion und dabei geht es auch um die Gegenspieler Sicherheit vs. Freiheit. Wie viel Freiheit gebe ich als Bürger einer Gesellschaft ab, um dafür Sicherheit zu erlangen? Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass dieser Gedanke in der Gesellschaft ankommt.
Auch würden wir uns freuen, wenn einige Förderer auf unsere Arbeit aufmerksam würden. Momentan ist das Projekt rein von uns finanziert. Die vereinzelten Hörerspenden die uns erreichen, investieren wir momentan ausschließlich in Serverkosten sowie in die Kantine des Bundestages.

Autor: Michael Meier

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Die Interviews mit den Nominierten und die Videos sind im Rahmen eines Medienpraxis-Seminars an der Universität zu Köln entstanden.


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