Wenn der Küchentisch zur Bühne wird

Veröffentlicht von Interviews Nominierte 2018 am

Screenshot von "Sommers Weltliteratur to go"
Screenshot von "Sommers Weltliteratur to go"
Screenshot von “Sommers Weltliteratur to go”

Statt Literaturklassiker auf die große Leinwand oder Bühne zu bringen, spielt Michael Sommer sie auf seinem Küchentisch nach. Seine Darsteller sind keine Hollywoodstars, sondern die eigenen Playmobilfiguren.

Mit seinem YouTube-Kanal “Sommers Weltliteratur to go” ist der Theatermacher in der Kategorie Kultur und Unterhaltung für den Grimme Online Award 2018 nominiert. Im Interview berichtet er, wie viel Aufwand tatsächlich hinter den kurzen Videos steckt und warum er gerade Playmobil zum Nachspielen ausgewählt hat.

Von vielen Klassikern gibt es bereits Filme, Theaterinszenierungen, Bücher… Warum haben Sie sich entschieden, Literatur in dieser Form nachzuspielen?

Die Inszenierung beider Teile von Faust dauerte bei einer Produktion von Peter Stein 20 Stunden. Ich brauche dafür ungefähr 20 Minuten, das ist ein wesentlicher Unterschied. Ich verpacke Weltliteratur kompakt und hoffentlich auch so unterhaltsam, dass man bis zum Ende dranbleibt.

Screenshot vom Video "Macbeth to go (Shakespeare in 11 Minuten)"

Screenshot des Videos “Macbeth to go (Shakespeare in 11 Minuten)”

Kannten Sie alle nachgespielten Werke bereits vorher?

Ich kannte selbstverständlich nicht alle Werke schon vorher. Ich lese – ganz egal ob ich es schon mal gelesen habe – sowieso alles nochmal bevor ich es zusammenfasse. Da mag meinem schlechten Gedächtnis geschuldet sein, aber anders könnte ich nicht gewährleisten, dass der Inhalt auch einigermaßen stimmt. Das geht aber häufig recht schnell. Theaterstücke – von großen Ausnahmen mal abgesehen – lesen sich in maximal zwei Stunden. Lange Romane sind natürlich was anderes. Das ist ein Grund, weswegen ich mein Programm durchmische.

Wie schafft man es, sehr umfangreiche Geschichten in so kurzer Zeit zu erzählen, ohne dass der Inhalt verfälscht wird oder etwas fehlt?

Es fehlt immer was. Das liegt in der Natur der Inhaltsangabe, dass sie Dinge weglässt. Die Frage ist: Was ist wichtig? Man muss viel üben, bis man gute Zusammenfassungen machen kann. Das Anfertigen von Inhaltsangaben ist eine Kulturtechnik, die am Aussterben ist. Alle denken, “Kann ich auch aus dem Internet ziehen, warum soll ich das machen” – es ist aber fatal, das den Experten zu überlassen. Wir müssen auch selber in der Lage sein zusammenzufassen: Was ist der Kern von dieser Aussage, was ist die Wahrheit von diesem Buch?

Warum wurden gerade Playmobilfiguren zum Nachstellen ausgewählt? Und wie viele haben sich inzwischen angesammelt?

Einerseits gab es in den 90er Jahren die Harald Schmidt Show, wo der große Entertainer verschiedene Szenarien mit Playmobilfiguren nachgespielt hat. Das hatte ich im Hinterkopf. Zum anderen habe ich als Dramaturg gearbeitet und bin so zu diesem Zusammenfassen gekommen. Warum aber Playmobil und keine anderen Figuren: Barbie-Puppen können nicht stehen und sind zu groß für einen Camcorder. Lego ist zu klein. Playmobil hat dafür eine ganz gute Größe – und es kommt aus Bayern. Ich weiß nicht genau, wie viele Figuren es mittlerweile gibt. Bei einer Volkszählung vor anderthalb Jahren waren es 400. Mittlerweile dürften es so 600 bis 700 sein.

Die Videos sind sehr wenig bearbeitet: Die Kulissen und Figuren werden vor laufender Kamera bewegt und die Geschichte parallel erzählt – klappt das immer direkt beim ersten Versuch?

Screenshot vom Video "Krieg und Frieden to go (Tolstoi in 10 Minuten)"

Screenshot des Videos “Krieg und Frieden to go (Tolstoi in 10 Minuten)”

Mit einem Video war ich letztens nicht mehr so zufrieden, also dachte ich mir: Drehst du es nochmal. Normalerweise drehe ich diese Videos vormittags – aus gutem Grund, wie ich festgestellt habe. Da habe ich es abends gemacht und so geflucht, weil ich ständig nochmal anfangen musste. Man muss echt ausgeschlafen sein, damit die “Ääh-Quote” relativ gering ist und das Ganze einigermaßen flüssig rüberkommt. Manchmal bearbeite ich auch nach. Wenn es zu viele Versprecher gibt, schneide ich die raus oder vertone nach. Manchmal gibt es auch künstlerisch gesetzte Schnitte, beispielsweise bei Rahmenerzählungen. Allgemein ist der Stil ein bisschen hausgemacht. Ich nehme es in Kauf, dass das Bild manchmal unscharf ist oder eine Figur umfällt. Ich finde die Botschaft wichtig, dass es nicht darauf auf eine große Technikausstattung ankommt, um etwas aus Literatur zu machen. Das kann jeder, sogar mit einem Handy.

Welche Klassiker wollen Sie in Zukunft noch bearbeiten?

Ich habe erstens eine konkrete Liste bis Ende September. Dann habe ich eine lange Liste, die ungefähr 500 Titel umfasst – ich kriege ja auch ständig Vorschläge. Wenn ich also Zeit und genügend Geld habe, dann wird es diese Serie noch lange geben.

Das Interview führte Juliane Glahn


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