Erinnerungskultur in Deutschlands Straßen

Veröffentlicht von Interviews Nominierte 2018 am

Screenshot: Website "Straßenbilder - Mozart, Marx und ein Diktator"
Screenshot: Website "Straßenbilder - Mozart, Marx und ein Diktator"
Screenshot: Website “Straßenbilder – Mozart, Marx und ein Diktator”

Welche Straße kommt in Deutschland am häufigsten vor? Warum gibt es in Ostdeutschland keine Straßennamen mit Bezug zu Hindenburg? Was steckt hinter den ganzen Blumenvierteln? “Zeit Online” beantwortet mit seinem Angebot “Straßenbilder – Mozart, Marx und ein Diktator”, einer interaktive Datenbank, genau diese Fragen. 450.000 Straßennamen wurden gesammelt und ausgewertet und es hat sich herausgestellt, dass Straßennamen ein Archiv politischer und gesellschaftlicher Strukturen sind.

“Straßenbilder – Mozart, Marx und ein Diktator” ist für den Grimme Online Award 2018 in der Kategorie Kultur und Unterhaltung nominiert. Was eine Geschichtsarbeit aus der Schule mit diesem Angebot zu tun hat und was die Leserschaft davon mitnehmen kann, erzählt Autor Sascha Venohr im Interview.

Wie kamen Sie auf die Idee, sich mit den Straßennamen von Deutschland zu beschäftigen?

Der Ursprung liegt eigentlich in einer Geschichtsarbeit, die ich mal als Abiturient schreiben musste. Die Aufgabe lautete: “In Ihrer Stadt soll eine Straße nach Bismarck benannt werden. Argumentieren sie dafür oder dagegen”. Das hat mich einerseits sehr geprägt, weil ich mir damals die Zähne an diesem Thema ausgebissen habe und andererseits, weil es auch gleichzeitig meine Faszination geweckt hat darüber, welche Symbolik hinter Namen stehen.  Später war es dann auch so, dass ich mich dafür interessiert habe, wie häufig man zum Beispiel noch den Namen Hindenburg in den Straßen findet und gesehen, dass es da ein regionales Muster gibt. In Osten findet man nämlich keine Straßennamen in Bezug auf Hindenburg, sodass man direkt den Umriss der DDR sehen kann. Schließlich war mir dann klar, dass ich in diese Thematik weiter reingehen möchte, sodass wir das in der Redaktion besprochen haben und direkt eingestiegen sind.

Woher hatten Sie die Daten?

Die Daten sind aus Open Street Map. Das ist eine community-betriebene Kartenlösung, in die Freiwillige Straßennamen eintragen. Wir fanden es sehr charmant, dass es kein kommerzielles Angebot ist aber dennoch qualitativ sehr gut. Deswegen haben wir uns da mit Leuten in Verbindung gesetzt, die sich gut mit den Daten auskennen und uns eine komplette Kopie von den Straßen Deutschlands ziehen lassen.

Screenshot: Website "Straßenbilder - Mozart, Marx und ein Diktator"

Screenshot: Website “Straßenbilder – Mozart, Marx und ein Diktator”

Welche Punkte haben Sie in Ihrer publizistischen Auswertung besonders herausgestellt? Warum diese?

Es ist natürlich ein vielfältiges Thema. Angefangen haben wir mit den quantitativ ausgewerteten Daten, wie zum Beispiel was die am häufigsten vorkommende Straße in Deutschland ist. Aber wir wollten uns nicht damit zufrieden geben zu sagen, dass es die Hauptstraße häufiger gibt als die Schulstraße – das fanden wir ein bisschen langweilig. Deswegen haben wir uns sehr stark daran orientiert zu fragen, an was sich die Deutschen erinnern wollen und an was nicht. Wir haben also den Fokus auf diese Erinnerungskultur gelegt. In unserem Angebot steigen wir ein mit dem Breitscheidplatz in Berlin als aktuelles Beispiel. Der Platz ist traurigerweise aufgrund des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt bekannt und da erklären wir, wer überhaupt dahintersteckt, nämlich der SPD-Politiker Rudolf Breitscheid, der im Konzentrationslager gestorben ist. So gehen wir eben in diese historischen Bezüge ein und streifen die ganze deutsche Geschichte. Dabei gehen wir auf DDR-Phänomene ein, wo noch Nazi-Aspekte im Straßenbild zu finden sind bis hin zur Ungleichverteilung von Männer- und Frauennamen am Beispiel von Hamburger Straßen. Wir machen also eine komplette Tour durch genau diese Erinnerungskultur.

Was hat Sie persönlich beim Ergebnis am meisten überrascht?

Autor Sascha Venohr bei der Bekanntgabe der Nominierung zum Grimme Online Award; Foto: Rainer Keuenhof/ Grimme-Institut

Autor Sascha Venohr bei der Bekanntgabe der Nominierung zum Grimme Online Award; Foto: Rainer Keuenhof/ Grimme-Institut

Ich bin natürlich sehr befangen in diesem Thema, weil ich mich sehr lange damit befasst habe. Ich finde es einfach sehr eindrücklich zu sehen, dass in Deutschland auch gerne versucht wird, bei den Straßen eben gar nicht diese Erinnerungskultur zu nutzen, sondern eher bei der Namensgebung auf Komponisten oder Blumen auszuweichen. Zudem hat mich überrascht, dass eine Umbenennung nicht zeitgemäßer Straßennamen gar nicht so häufig vorkommt, weil dahinter ein sehr großer Aufwand steckt. Aber da muss ich eher schmunzeln, wenn man eine Straße Nelkenweg nennt, als sie einer Person zu widmen, die zum gesellschaftlichen Wohl beigetragen hat, weil das nicht so wehtut.

Was kann die Leserschaft von dem Ergebnis mitnehmen? 

Das Schöne am Projekt ist, dass wir eine Recherchedatenbank gebaut haben, in der wir eine komplette Tour durch die Straßennamen Deutschland machen aber die Leserinnen und Leser auch selbst eine Geschichte finden können. Bereits während der Recherchen haben wir gemerkt, dass das so viel Spaß macht nachzugucken, wie häufig die eigene Straße vertreten ist oder ob sogar der eigene Name in einer Straße in Deutschland auftaucht. Die Leute haben dann auch sehr begeistert ihren Fund auf Social-Media-Kanälen geteilt. Das ging dann so weit, dass Sprachwissenschaftler darauf aufmerksam geworden sind und Sprachräume aufgezeigt haben, die wir gar nicht sehen konnten. Es ist ganz spannend zu sehen, wie man gerade über diesen Rückkanal auf Social Media sehen kann, dass die Leute auch Lust haben, in den Daten herumzustöbern.

Das Interview führte Mine Aktas

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Die Videos entstanden im Rahmen der medienpraktischen Seminare des Masterstudiengangs International Media Studies (IMS) der DW-Akademie


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