Ein Diskussionsbeitrag von Christoph Neuberger, Kommunikationswissenschaftler und Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Das Internet leidet in der Öffentlichkeit schon lange nicht mehr unter mangelnder Aufmerksamkeit. Doch fällt dabei der Blick meistens auf die Schattenseiten. Das Gute am Netz kommt in der Debatte zu kurz. Außerdem reden viele aneinander vorbei. Allerdings ist Qualität im Internet auch nur schwer zu fassen, denn es wechselt ständig seine Erscheinungsformen und Orte. Drei Anmerkungen zur Frage nach der Qualität im Internet.

1. Wo bleibt das Positive?

Der wesentliche Teil der Diskussion über das Internet und der Netzpolitik dreht sich um die Gefahrenabwehr: Jugendschutz, Datenschutz, Schutz des geistigen Eigentums, Schutz des Online-Handels usw. Damit verbinden sich – zweifellos – drängende Probleme. In den Hintergrund gerät aber, was begrüßens- und wünschenswert am Internet ist. Was sind die Gründe für diese Negativorientierung? Neben den tatsächlichen und vermeintlichen Risiken des Internets ist ein weiterer Grund eine eigenartige Asymmetrie: Meistens fällt es leichter, zu sagen, was man nicht will, als zu sagen, was man will. Auf Mindeststandards kann man sich schneller einigen als auf das, was man für sich – und besonders für die Gesellschaft – wünscht. Das gilt gerade für das Internet,  das mehr schöpferische Phantasie als frühere Medien erfordert und freisetzt, weil es so viel möglich macht und kaum Grenzen setzt. Es reicht also nicht aus, nur Schutzwälle zu errichten. Ebenso notwendig ist das Bestimmen von Qualitätsmaßstäben.

2. Parallelwelten

Ja, es wird viel über das Internet geschrieben und gestritten. Allerdings in ganz unterschiedlichen Diskurswelten, die untereinander wenige Berührungspunkte haben. Die öffentliche, von der Tagesaktualität vorangetriebene Debatte bestimmen Journalisten, Medienblogger und Netzaktivisten. Daneben gibt es eine Vielzahl von tiefer gehenden Fachdiskursen: Pädagogen, Juristen, Ökonomen, Psychologen, Designer und Kommunikationswissenschaftler (um nur einige zu nennen) bleiben jedoch meistens unter sich. Sie haben aber oft mehr zu sagen als die Wortführer der öffentlichen Debatte, die als vermeintliche Netzavantgarde immer noch lautstark die Deutungshoheit über das Internet beanspruchen. Wenn nur das Gehör findet, was netz- und feuilletontauglich geschrieben ist, bleibt die Analyse an der Oberfläche. Dass in den Jurydiskussionen des Grimme Online Award verschiedene Qualitätsperspektiven vertreten sind, ist ein seltener Umstand. Nur so kann man aber der Vielfalt und Komplexität des Internets gerecht werden.

3. Immer wieder anders

Der Grimme Online Award will publizistische Höchstleistungen auszeichnen. „Publizistisch“ ist nicht alles, was veröffentlicht wird. Mit dem Begriff ist ein gesellschaftlicher Anspruch verbunden: Damit sind jene Beiträge gemeint, welche die Medien für das Gemeinwohl leisten, indem sie z. B. die Meinungsbildung oder Integration fördern. Publizistische Kategorien sind Journalismus, Bildung, Beratung, Kultur und Unterhaltung. Weil das Internet fast jede Art von Kommunikation vereint, fällt es schwerer als in Presse und Rundfunk, das Publizistische abzugrenzen. Außerdem wird im Internet vor allem an der Peripherie experimentiert. Von dort – aus dem nicht-kommerziellen und nicht von Gebühren und Steuergeldern unterstützen – Bereich stammen oft die besten Ideen. Deshalb müssen die Maßstäbe flexibel sein, und die Randbereiche müssen durchforstet werden. Nur so lässt sich das Innovative schon im Keim entdecken und fördern – und nicht erst dann, wenn es sich vor aller Augen bewährt hat. Qualität hat im Internet immer wieder wechselnde Erscheinungsformen und taucht an neuen Orten auf. Das unterscheidet das Internet von den alten Medien, in denen Qualität in „Qualitätsmedien“ und Qualitätskriterien in Lehrbüchern zu finden sind.

 

Zur publizistischen Qualität im Internet:


1 Comments

Internet-Nutzung und Milieu » quergewebt · 2. April 2012 at 15:14

[...] relevant für eine qualitative Betrachtung der Online-Kommunikation, denn (darauf hat ja auch Christoph Neuberger in seiner aktuellen Publikation zur “Definition und Messung publizistischer Qualität im [...]

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