“Magersucht geich Schönheitswahn? So einfach kann es doch nicht sein!”

Veröffentlicht von Stefan Granzow am

Screenshot “Anorexie – Heute sind doch alle magersüchtig”

Magersucht wird in der öffentlichen Wahrnehmung oft mit Schlankheitswahn gleichgesetzt, als Makel der Model-Welt abgetan. Die Berichterstattung über dieses Thema ist dadurch sehr einseitig. Das Projekt “Anorexie – Heute sind doch alle magersüchtig”, nominiert für den Grimme Online Award 2015 in der Kategorie Information, will dem entgegen wirken. Im Interview erläutert Initiatorin Nora Burgard-Arp die Komplexität der Erkrankung und widerspricht zugleich dem Vorurteil, dass allein der Schönheitswahn Ursache der Erkrankung ist.

Wie kam es zu dem Projekt “Anorexie – Heute sind doch alle magersüchtig”?

Ich will mit dem Anorexie-Projekt eine Gegenbewegung zur Berichterstattung über Magersucht in der Boulevardpresse sein. Schließlich wird diese ernste Krankheit dort zunehmend als Marotte der Stars und Sternchen dargestellt. Magersucht geich Schönheitswahn? So einfach kann es doch nicht sein, habe ich mir gedacht, daraufhin mit vielen Betroffenen sowie mit Ärzten und Psychologen gesprochen und festgestellt: Die Magersucht ist hoch komplex und sehr individuell. Und selbst in der Forschung gibt es immer noch mehr Fragen als Antworten zur Anorexia nervosa. Ich will hier Aufklärungsarbeit leisten, mit Missverständnissen aufräumen, die unterschiedlichsten Ausprägungen der Krankheit beleuchten und zur Debatte anregen. Außerdem will ich den Menschen, die darunter leiden, eine Stimme geben. Dabei konzentriere ich mich erst mal auf die Magersucht – obwohl es natürlich noch andere, genauso ernst zu nehmende Essstörungen gibt –, um der Erkrankung in ihrer Komplexität gerecht werden zu können.

Was halten Sie von dem Schlankheitswahn in Modelshows, die kein wirklichkeitsgetreues Ideal von Schönheit prägen?

 "Anorexie in der Gesellschaft"

Screenshot: “Anorexie – Heute sind doch alle magersüchtig”

Der gesamtgesellschaftliche Schlankheitswahn, den es definitiv gibt und den man auch ernst nehmen sollte, hat erst einmal nichts mit Magersucht zu tun. Tatsächlich hat mir einer meiner Protagonisten, ein führender Kopf in der Anorexie-Forschung, erklärt, dass die Häufigkeit der Magersucht in ihrer engsten Form in den letzten 20 Jahren gar nicht gestiegen sei. Zudem ist die Magersucht keinesfalls eine neue Erkrankung, also kein gesellschaftlicher Trend. Die Motive dahinter mögen sich zwar geändert haben, das Bild ist dennoch das gleiche geblieben.

Nichtsdestotrotz haben diese Sendungen natürlich einen Einfluss auf junge Menschen, schließlich wird hier ein Schönheitsideal transportiert, das für viele Mädchen schlicht und ergreifend unnatürlich ist – da sie die körperlichen Vorrausetzungen gar nicht haben. Auch die krasse Konzentration auf die Äußerlichkeiten, den Körper, sehe ich sehr kritisch. Ich glaube, dass dies in gewisser Weise eine Art Einstiegsdroge sein kann – aber niemals der einzige Grund, denn auch das würde die Krankheit wieder simplifizieren.

Nora Burgard-Arp vom Projekt "Anorexie – Heute sind doch alle magersüchtig"; Foto: Grimme-Institut / Jens Becke

Nora Burgard-Arp von “Anorexie – Heute sind doch alle magersüchtig”; Foto: Grimme-Institut / Jens Becker

Bringen Sie uns bitte kurz Ihre Arbeitsweise beim Projekt etwas näher.

Als ich 2014 mit dem Projekt gestartet bin, habe ich mir eine Liste gemacht mit allen Themen, die ich behandeln will – und das sind echt viele, eben weil das Thema so vielfältig ist und es unterschiedlichste Forschungsstränge gibt. Diese Liste habe ich jetzt, ein Jahr später, immer noch nicht ganz abgearbeitet, das heißt, ich hab noch einige Geschichten in der Pipeline. Dazu bekomme ich außerdem ein großes Feedback von Betroffenen, Eltern, Ärzten etc., die mir weitere Vorschläge machen. Als Journalistin ist das natürlich Luxus: Ein Thema, das ich aus unterschiedlichsten Blickwinkeln erzählen kann. Zu jeder Geschichte suche ich mir dann im Idealfall zwei Protagonisten: eine Betroffene oder einen Betroffenen und einen Experten, zum Beispiel einen Arzt oder Forscher. Dann entscheide ich, ob ich die Geschichte als Text, Video oder Podcast mache und produziere. Dabei lasse ich mir bewusst immer viel Zeit, da ich ja keine Redaktion im Rücken habe, die die Texte gegenliest.

Was bedeutet die Nominierung für den Grimme Online Award für Sie?

Das ist natürlich eine riesige Ehre – vor allem, wenn man sich die großartigen Kollegen anschaut, die ebenfalls nominiert sind. Das ist schon toll, mit denen in einer Reihe zu stehen. Als ich die Nachricht bekam, bin ich vor Freude fast ausgeflippt. Es ist eine tolle Wertschätzung meiner Arbeit und bestätigt mich gleichzeitig darin, dass das Thema Magersucht eine große gesellschaftliche Relevanz hat.

Wie könnte sich ein Gewinn des Grimme Online Award positiv für das Projekt “Anorexie – Heute sind doch alle magersüchtig” auswirken?

Allein schon durch die Nominierung hat mein Projekt – und damit das Thema – viel mehr Aufmerksamkeit als vorher bekommen. Das würde durch einen Gewinn natürlich noch verstärkt. Und das ist ja genau das, was ich zu Beginn erreichen wollte: aufklären, eine Gegenbewegung sein. Wenn das jetzt funktioniert, ist das einfach großartig. Für mich persönlich wäre der Gewinn außerdem wie ein Ritterschlag.

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