Mal wieder sensationell: VideoDays 2015

Veröffentlicht von Lars Gräßer am

Gigantische Autogrammstunde: der Community-Day am 7.8. Bild: Gerstmann.

Zehn Jahre wird YouTube in diesem Jahr alt und die VideoDays, das größte YouTuber-Treffen Europas (Selbstbeschreibung), auch schon sechs. Gestartet als Rahmenprogramm der Computerspielemesse Gamescom mit 400 Teilnehmern, ist der Event mittlerweile in einer der größten Locations in Köln angekommen; in der Lanxess Arena. Die Vorjahresausgabe war hier ja bereits Thema.

Bemerkenswert war die Entwicklung hin zu einem Branchenevent – hinter den Kulissen –, zu dem sich die Branchengrößen ein abwechslungsreiches Stelldichein gaben, und einem massentauglichem Fantreffen „davor“. Das hat sich geändert, muss man in diesem Jahr feststellen, während der Massenzuspruch ungebremst scheint: Über 15.000 vorwiegend junge Menschen strömten am 7. und 8. August wieder nach Köln, um sich von gut und gerne 300 YouTubern (am 7.8.) Autogramme geben oder (am 8.8.) entertainen zu lassen.

Deutlicher denn je: Webvideo ist längst keine Nische mehr, selbst wenn die Mehrheit der YouTuber für die allermeisten (Erwachsenen) gänzlich unbekannt ist. Dabei will die „YouTube Global Audience Study“ herausgefunden haben, dass weltweit lediglich 15 % der Nutzer unter 18 Jahren alt sind, 37 % zwischen 18-34 Jahren ist und mehr als die Hälfte bereits 35 Jahre und älter. Nichtsdestotrotz ist Webvideo vielleicht das Jugendmedium zurzeit, für manche auch das „Leitmedium“ junger Menschen, wie die YOU-Studie meint. Das war in Köln zu spüren: „Kreischende Teenager am Rande des Nervenzusammenbruchs“ dominierten vielfach die Szenerie in der Lanxess Arena. Alles wie immer also?

Ja und nein. Interessant(er) sind vielleicht die kleinen Veränderungen und Verschiebungen oder schlichtweg die Lehrstellen: Kein Gerede über die zunehmende Konkurrenz im Bewegtbildbereich, die Webvideoexperte und Medienwissenschaftler Bertram Gugel bei der letzten re:publica aufgegriffen hat, und die auch auf der nordamerikanischen VidCon – dem Pendant der VideoDays im Mutterland – immer wieder Thema war. Selbst der weltweit viel beachtete Beitrag von VidCon-Organisator Hank Green „Diebstahl, Lügen und Facebook Video”, der in eine ähnliche Kerbe haut, war nur wenigen Gästen der VideoDays bekannt, beklagt das Fachmagazin broadmark. Als Branchentreff scheinen die VideoDays nicht (mehr) zu funktionieren. Da passt es ins Bild, dass zahlreiche Business Logen leerblieben. Von enormen Preissteigerungen für die Anmietungen war als Grund zu hören, größere Netzwerke wie Studio71, Endemol und Divimove lediglich als Beobachter vor Ort und ihre YouTuber nicht (mehr) auf der Bühne präsent. Zahlreiche prominente Künstler fehlten überhaupt. Zeichnet sich hier ein Auszehrungsprozess ab? Berlin ist als Veranstaltungsort für VideoDays 2015 hinzugekommen, München und Hamburg sind im Gespräch sowie weitere Locations jenseits von Deutschland. Der Stimmung und der augenscheinlichen Harmonie tat das aber keinen Abbruch. Veranstalter Christoph Krachten verkündete in der Pressemitteilung gewohnt vollmundig: „Die VideoDays in Köln waren wieder sensationell.“ Was sonst?

„Zenit überschritten“

Extra für einen Song angereist: Lena Meyer-Landrut. Foto: Gerstmann.

Jungstar Saphire (12) vor Riesenkulisse bei #vd15. Foto: Gerstmann.

Irritierend war, dass auf der der zeitlich parallel stattfinden Computerspielemesse Gamescom plötzlich zahlreiche YouTuber-Bühnen um Aufmerksamkeit kämpften, gespickt mit Stars der Gamer-Szene wie Gronkh und Sarazar, Simon Unge oder Piet Smiet, die vor allem das Genre “Let’s Play” bedienen.

Medienpädagoge Markus Gerstmann, der zum wiederholten Male die VideoDays besuchte, stößt vor allem die Kommerzialisierung negativ auf: “Für mich sind die VideoDays wieder eine interessante Erfahrung – wie die Professionalisierung des Events voranschreitet, aber auch in Hinblick darauf wie die Fankultur von jungen Jugendliche Fans ausgelebt wird. Gleichzeitig denke ich: Die Videodays haben ihren Zenit überschritten. Es ist vor allem die Werkschau eines MultiChannelNetzwerkes, irgendwie tot, selbst wenn die Jugendlichen nach wie vor strömen. Die Kommerzialisierung hat dem Webvideobereich nicht gut getan. Dies sehen wir auch an den vielen anderen YouTuber Shows, die durch die Lande ziehen, wie Tach Kinners Tour oder Online Stars Live.“

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Julienco und und Bibi(s Beauty Palace) mit ihrem Golden Play Button. Foto: Gerstmann.

Zurück zur samstäglichen Show, stets der Kulminationspunkt der VideoDays auf der ganz großen Bühne. Gegen Mittag präsentierten sich hier zunächst YouTuber eher mittlerer Popularität – „Newcomer“ – mit einem Highlight am Schluss, dem Auftritt der Eurovision-Song-Contest-Gewinnerin Lena. Sie scheint sich mit Macht in der Szene etablieren zu wollen und irgendwie passte die Zuordnung auch: als YouTuberin hat sie Newcomer-Status. Am späten Nachmittag folgten schließlich musikalische Darbietungen veritabler YouTube-Stars. Für Abwechslung im Bühnengeschehen sorgten hierbei immer wieder Preise. Genauer muss sagen: Es hagelte regelrecht Preise, scheinbar für alles und jeden. Abseits der „Golden Play Buttons“ für das Erreichen von einer Million Abonnenten, wurden im Rahmen der samstäglichen Show auch die „PlayAwards“ vergeben, welche die kreativsten Kanäle unter den erfolgreichen Online-Video-Produktionen auszeichnen und „damit als Schaufenster für die Öffentlichkeit dienen und die Bedeutung von Online-Video für die deutsche Medienlandschaft hervorheben“ sollen, ist in der Pressemitteilung zu lesen. Aha! Als Jury konnte in diesem Jahr Ex-TV-Macher Oliver Pocher sowie die YouTuber Oguz Yilmaz (Ytitty), Manniac, Daniele Rizzo (Clipfish TV), und MrWissen2go alias Mirko Drotschmann gewonnen werden, die in acht Kategorien mit insgesamt 23 Nominierten über die Gewinner entschied. Leider ist intransparent nach welchem Modus hier vorgegangen wird, die Hinweise im Web sind bestenfalls dürftig. Kurios mutet auch an, dass in Berlin bereits andere Preisträger gekürt wurden. Das Berliner „Schaufenster“ Ost soll sich wohl vom „Schaufenster“ West in Köln unterscheiden – oder werden hier tatsächlich regionale Qualitätsentscheidungen angepeilt? Und wird es noch mehr Preisträger geben, wenn die VideoDays ebenfalls in München und Hamburg stattfinden werden? Merkwürdig ist auch der Umstand, dass in der Kategorie für Markenkanäle alle (Kölner) Nominierten mit Unterstützung des VideoDays-Veranstalters und Webvideoexperten Christoph Krachten das Licht der Onlinewelt erblickten und entsprechend den Sieger unter sich ausmachten. Dass hier eine Supermarktkette mit ihrem Kanal gewinnen konnte, die bereits mit ihrem „Supergeil“-Video einen viralen Hit im Webvideobereich gelandet hatte – knapp 15 Mio. Aufrufe auf YouTube –, sei nur am Rande erwähnt.

Neue Zielgruppe angepeilt

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Seniorenchor als Unterstützung auf die Bühne. Foto: Gerstmann.

Am Ende der Bühnenshow mussten wieder die Y-Tittys ran, die zwar einräumten, seit einem halben Jahr nichts mehr online gestellt zu haben, aber immer noch als Headliner funktionieren und einfach ältere Songs performten – wie im Vorjahr. Die Stars des Abends waren aber die 16-jährigen „Lochis“. Sie rockten die Halle mit ihren Songs, die Fans grölten jede Textzeile mit und der Veranstalter unterstützte dies mit Konfetti- und Lametta, die jedem Helene-Fischer-Konzert zur Ehre gereichen würde. Überraschungen gab es dann aber doch noch: Der Musiker „Digges Ding“ holte zum Showfinale einen Seniorenchor als Unterstützung auf die Bühne („Die neue Generation YouTube“!), während im Hintergrund eine Art Werbevideo jüngerer Webvideomacher ablief.

Die letzte Überraschung kam dann zum Schluss: Es war erst halb sieben, als die Halle wieder ihre Tore öffnete. Fazit: Das Branchentreffen findet woanders statt, selbst wenn die Massen strömen. Man darf gespannt sein, ob die Expansion den VideoDays gut tut und die Tendenz zum Marketing-Event nicht noch verschärft. Und: Wie ernst waren die Senioren auf der Bühne gemeint? Dies gilt es in den nächsten Wochen zu entschlüsseln.


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