Die 9. Klasse des Gymnasiums in den Filder BendenGymnasium in den Filder Benden, Moers, 8 Uhr morgens. Ein ungewohnter Arbeitsbeginn für Aycha Riffi, Referatsleiterin der Grimme Akademie, und ein ungewohntes Publikum – vor 24 Schülerinnen und Schülern der 8. Klasse wird sie heute einen 5-Stunden-BRICkS-Workshop zum Thema Hate Speech halten.

“Kennt ihr das Grimme-Institut?” fragt sie als Einstieg. Verhaltene Blicke, hier und da ein Flüstern. “Vielleicht kennt ihr ja den Grimme-Fernsehpreis, der wurde letzte Woche vergeben. Jan Böhmermann sollte eigentlich kommen, war aber nicht da.” Hier klingelt es bei einigen. Die Verbindung scheint hergestellt. Der Mann, der vor kurzem mit seinem satirischen Schmähgedicht Schlagzeilen gemacht hat, scheint bekannt zu sein. Mitbekommen haben sie es in den Sozialen Netzwerken. Sie alle haben ein Handy bei sich. Alle nutzen sie das Internet. Bis zu 9 Stunden pro Tag. Ob sie selbst mit negativen Kommentaren in Berührung kommen? Auf Facebook und Twitter lesen sie so etwas oft. Flüchtlinge und  Ausländer sind ihrer Meinung nach die Zielscheibe. Aber auch Prominente, oder Menschen, die zufällig durch einen Post bekannt wurden. Die Hetze gegen den Zahnarzt, der in Afrika einen Löwen tötete, fällt ihnen ein. Aycha Riffi erinnert an die Frau, die wegen eines witzig gemeinten rassistischen Tweets ihren Job und sogar einige ihrer Freunde verlor. Auch das Thema Mobbing ist den Schülern nicht fern. “In der Klasse meiner Schwester wurde jemand ausgemobbt. Jetzt ist sie weg. Ist von der Schule gegangen.”, erzählt eine Schülerin. Doch was hat das alles mit BRICkS zu tun?

Building Respect on the Internet by Combating Hate Speech

BRICkS heißt Building Respect on the Internet by Combating Hate Speech. Langer Name. Finden auchWas ist eigentlich Hate Speech? Schüler bei Diskussion die Schüler. “Die Italiener haben sich den ausgedacht”, erklärt Aycha Riffi, in Anspielung auf die europäischen Partner des Projektes. Kurzes Gelächter lockert die noch etwas angespannte Stimmung auf. BRICkS ist ein europäisches Projekt, in dem sich Social-Media-Experten und Medienpädagogen vereint haben, um jungen Menschen die Möglichkeiten im Umgang gegen jegliche Formen der Ausgrenzung im Netz – sei es Rassismus, Fremdenfeindlichkeit oder Homophobie – aufzuzeigen. Gemeinsam entwickeln sie Trainingsmodule und Tools –eine Art Hilfestellung – die bei Jugendlichen das Bewusstsein für Hasskommentare schärfen sollen. Medienkompetenz und Engagement, statt Unwissenheit und passiver Hinnahme.

Online – immer und überall

Nach der kurzen Vorstellung des Projekts geht es los. Zuerst will man sich kennenlernen. Auch wenn die nette Bitte, sich mit Hilfe eines Klebebands Namensschilder zu basteln zunächst für ein kollektives Aufstöhnen sorgt. Dann muss man sich auch noch in Arbeitsgruppen aufteilen. Dislike. Die erste Aufgabe dagegen findet Zuspruch: Die Schüler sollen innerhalb ihrer Vierergruppen eine Umfrage zum Thema Internetnutzung durchführen. Wie wichtig ist das Internet für Dich? Wie viele Stunden am Tag verbringst Du online? Was machen Jugendliche im Netz, welche Seiten besuchen sie? Angeregtes Murmeln. Es wird sofort losgelegt. Und auch wenn sich manchmal abseitige Fragen nach der Grammatik stellen, “heißt es eigentlich umbedingt oder unbedingt?”, wird schnell klar, das Thema stößt bei allen auf Interesse.

Die Auswertungen dürften vielleicht einige überraschen. Zumindest was die Wichtigkeit des Internets für die Jugendlichen angeht. Es sei “wichtig, aber nicht lebensnotwendig”. Manche sprechen von möglichen “Alternativen” wie Freunde treffen, DVDs anschauen und Spielkonsolen.Handys sind immer dabei Es gibt ja auch Wichtigeres: Familie, Freundschaft, Hobbys und soziale Aktivitäten zum Beispiel. Jedoch verbringt der Großteil nach eigenen Angaben täglich immerhin bis zu 9 Stunden im Netz und surft auf sozialen Netzwerken, streamt auf Netflix, spielt Games, hört Spotify, schaut YouTube und holt sich gelegentlich Rat bei Wikipedia. Jederzeit und überall. Zuhause, unterwegs, in der Schule. Im Gymnasium wurde sogar für Schüler ab der 9. Klasse das WLAN freigeschaltet. Das Internet sei wichtig, “um up to date zu bleiben und Kontakte mit Freunden und Bekannten zu pflegen…und um Langeweile zu vertreiben” sagen die Schüler.

Cybermobbing, Bashing, Hate Speech

Be great, don't hateAber es gibt auch eine ganze Menge, was die Jugendlichen am World Wide Web stört: Viren, Werbung, Cookies, Datenspionage-und Speicherung und anonyme Hasskommentare führen die Liste an. Relativ viele Kritikpunkte für Webaffine.  5 von 24 Schülern könnten sich sogar ein Leben ohne Internet vorstellen. Doch hier der Twist. Als sie gefragt werden, ob sie freiwillig für die nächsten zwei Wochen auf das Internet verzichten würden, knicken viele ein. Nur zwei sehr zaghafte Meldungen sind zu vernehmen. Ganz ohne wollen sie wohl doch nicht leben. Und wie stehen sie zu Hate Speech?

Dieses Phänomen der Social Media Welt gibt viel Stoff zum Nachdenken. Genauso die vielen Arten und Formen drum herum: Cybermobbing, Cyberstalking, Bashing, Hasspropaganda, Shitstorm. Was haben sie alle gemeinsam und was sind die Unterschiede? “Macht Cyberstalking nicht irgendwie jeder, der Profile von mehr oder weniger Bekannten auf Facebook checkt?” ist eine der Fragen. Cybermobbing scheint dagegen klar gegen eine oder zwei Personen gerichtet zu sein, die man persönlich kennt und die als Außenseiter gelten. So überlegen denn alle gemeinsam, was das besondere an Hate Speech sei. Das Stichwort Anonymität fällt dabei als erstes. Jeder könne so ein Kommentar ins Netz stellen, welches sich gegen ganze Menschengruppen wie Ausländer oder Homosexuelle richten kann, basierend auf Vorurteilen und Klischees. Bei Hasspropaganda handle es sich derweil um eine organisierte Gruppe, die mit gezielten “Hasspredigten” andere Gruppen im Netz diffamiert. Aber wie geht man gegen all dies vor?

Think before you post

Kampagnen gegen Hate SpeechKönnte eine Netiquette ein geeignetes Hilfsmittel sein, um solchen Hasskommentaren Einhalt zu gebieten? Es ist zumindest ein erster Schritt, den auch die Schüler gehen, indem sie ihre eigenen Regeln für ihre potentielle Website formulieren: Kein Rassismus, keine Drohungen oder Beleidigungen, weder kriminelle Inhalte noch Spam-Nachrichten wollen sie dort sehen. Konsequenz des Zuwiderhandelns? Sofortige Löschung. Doch das ist nicht genug. “Wir brauchen Kampagnen gegen Hate Speech” animiert Aycha Riffi die Klasse. Hierbei werden der Kreativität der Schüler keine Grenzen gesetzt. Alles von Werbeslogans über Plakate, Video- und Fotostories ist willkommen und erwünscht. “Dürfen wir auch so eine Mobbing Situation drehen?” Na klar!

Wild verteilt über das Schulgelände entstehen Beiträge aller Art. Mal ist es ein Video-Kommentar à la #mundaufmachen von Joko und Klaas, mal eine Analyse dessen, auf welchen Plattformen Hate Speech verbreitet ist. Szenen zu Cybermobbing und Hassreden werden gedreht, Plakate gemalt. Sie handeln vom Respektvollen Miteinander und sozialem Engagement. Sie verurteilen Fremdenhass und verschmähen anonymes Trolling. Nicht zuletzt fordern sie auf: “Be great, don’t hate”.

Mit ihren Handys bewaffnet, recherchieren sie, auf welchen sozialen Plattformen sich Beleidigungen finden und ob was dagegen gemacht wird. “Soziale Netzwerke sollen eine extra Abteilung einrichten, die Hasskommentare ausfindig macht und die Accounts löscht” meint eine Gruppe. Stichwort Facebook. Bis vor kurzem noch ging das Netzwerk zwar rigoros gegen die Verbreitung von Nacktbildern vor, unternahm jedoch nichts gegen Beleidigungen. Das soll sich nun zumindest auf der deutschen Seite ändern. Gut so. Als Verantwortlicher für eine Website muss man aber auch aufpassen, sonst könne man sich strafbar machen, erklärt Aycha Riffi. Hasskommentare verletzen. “Es ist nicht schön zu wissen, dass man dich hasst”, meinen Schülerinnen in ihrem kurzem Video-Appell. Sie fordern auf: “Seid aufmerksam im Netz und meldet Hate Speech Kommentare”. Das muss aufhören, meinen die Schüler. Das meint auch BRICkS.

 


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