Forschung und Experiment

Veröffentlicht von Vera Lisakowski am

Lea Püchel von der Universität zu Köln referiert ihre Forschungsergebnisse zu digitalen Präsentationsformen. Foto: Daniel Kunkel
Lea Püchel von der Universität zu Köln referiert ihre Forschungsergebnisse zu digitalen Präsentationsformen. Foto: Daniel Kunkel
Lea Püchel von der Universität zu Köln referiert ihre Forschungsergebnisse zu digitalen Präsentationsformen. Foto: Daniel Kunkel

Neue journalistische Darstellungsformen in der digitalen Welt

Als eine Grundlage für ihre Forschung zu Auswirkungen von Journalismus auf die politische Willensbildung und auf die Zahlungsbereitschaft der Nutzer sieht Lea Püchel, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Medien- und Technologiemanagement an der Universität zu Köln, die Kategorisierung von Darstellungsformen im Web.

Nach einer Literaturanalyse erfolgte ein Vorschlag der Dimensionen von Darstellungsformen. Der wurde dann in einer qualitativen Inhaltsanalyse mit den Nominierungskommissions- und Juryprotokollen des Grimme Online Award von 2001 bis 2018 abgeglichen. Daraus entwickelte sich als ein Ergebnis eine Liste von 28 Darstellungsformen, von denen lediglich vier (Kommentar, Glosse, Nachricht, Reportage) als traditionelle Formate aus Vor-Internet-Zeiten bekannt waren. Andere – neue Formen – waren zum Beispiel die Instagram-Story, Conversational Journalism, die Webdoku, das Blog oder die Multimedia-Story.

“Wir haben ein System entwickelt, das hat neun Dimensionen”, berichtet Püchel vom zweiten Ergebnis ihrer Forschungsarbeit, “damit wir wissen, welche Elemente man an einer Darstellungsform betrachten kann.” Diese neun Dimensionen sind der Inhaltstyp, die Funktion, die Konzentration auf den Autor, die Hauptquelle, die Veröffentlichungsfrequenz, der Veröffentlichungskanal, die Struktur des Inhalts, die verwendeten Medien und die Interaktivität.

“Wir haben Glück gehabt, wir konnten alle unsere Dimensionen bestätigen”, so Püchel weiter über ihre Recherchen und die Hypothese aus der Literaturanalyse. In der Praxis sei es in ihrer Beobachtung jedoch häufig so, dass sich die Darstellungsformen immer mehr vermischten und dass auch weitere Elemente hinzu kämen, die ihren Ursprung in der Netzkommunikation hätten: Emojis, Humor, Gifs oder Memes seien oft in der Berichterstattung zu finden, auch seien diskursive Elemente eigentlich immer vorhanden, ein reiner Bericht werde immer seltener.

Stefan Domke (l.) und David Ohrndorf realisieren als freie Mitarbeiter für den WDR innovative Online-Projekte. Foto: Daniel Kunkel

Stefan Domke (l.) und David Ohrndorf realisieren als freie Mitarbeiter für den WDR innovative Online-Projekte. Foto: Daniel Kunkel

Archiv der analogen Welt

Mit digitalen Darstellungsformen experimentieren Stefan Domke und David Ohrndorf seit 2012. Die beiden freien Mitarbeiter haben schon zahlreiche innovative und preisgekrönte Projekte für den WDR geschaffen.

Im Jahr 2012 startete “WDR Digit”, eine Plattform auf der Nutzerfotos und -videos aus der analogen Zeit veröffentlicht werden. Inzwischen seien fast 100.000 Fotos und Videos in der Datenbank, und dieses Jahr hätten fast 6.000 Nutzer die Bilder kommentiert und so wertvolle Hinweise gegeben. “Wir haben dadurch, dass es Amateurmaterial ist, einen ganz anderen Zugang zur Vergangenheit”, berichtet David Ohrndorf, “wenn früher der WDR in einer Familie war, hat sich die ganze Familie hübsch gemacht und es wurde aufgeräumt – fast wie Instagram heute. Das Digit-Archiv ist viel authentischer.” Den Unterschied könne man besonders an Material vom Vatertag sehen, wenn man danach im WDR-Fernseharchiv suche, sehe das immer sehr gesittet aus. Nicht so die Fotos bei “WDR Digit”. Die eingesammelten Fotos und Videos stehen für eine Verwendung in den klassischen Kanälen des WDR zur Verfügung, können aber auch von nicht-kommerziellen Einrichtungen genutzt werden.

Ein weiteres Projekt von Stefan Domke und David Ohrndorf für den WDR ist “Pageflow”, ein Storytelling Tool. Dieses Tool habe der WDR als Open Source zur Verfügung gestellt, der Quellcode und die Nutzung zögen keine Lizenzierungskosten nach sich, so Domke. Für “Pageflow” gab es 2014 einen Grimme Online Award und seitdem wurden beim Wettbewerb zahlreiche Multimedia-Geschichten eingereicht und nominiert, die auf diesem Tool basieren. “Es wird auch außerhalb des WDR genutzt”, berichtet dann auch Stefan Domke, “selbst in Verlagshäusern, die uns im Zuge des Rundfunkänderungsstaatsvertrages nicht unbedingt wohlgesonnen sind.”

Virtuelle Welten

Derzeit beschäftigen sich die beiden freien Journalisten hauptsächlich mit 360° und Virtual Reality. Ihr erstes Projekt sei eine Chorveranstaltung in der Arena auf Schalke gewesen, erzählt David Ohrndorf, “die kam aber bei den Nutzern nicht an, weil den meisten der Browser dabei abgestürzt ist.” Wieder angefangen hätten sie dann erst wieder 2015, indem sie sich eine einfache 360°-Kamera gekauft hätten. Daraus sei dann “Der Kölner Dom in 360° und VR” entstanden, das sich dadurch auszeichne, dass es von niedrigschwellig bis High-End verfügbar sei. Es ist über fünf verschiedene Plattformen zugänglich, so dass jeder darauf zugreifen kann, egal über welche Ausrüstung er verfügt. Auch dafür wurde das Projekt 2017 mit einem Grimme Online Award ausgezeichnet.

“Der WDR hat die Verpflichtung, den Content auch wirklich allen zur Verfügung zu stellen”, erklärt Stefan Domke, “nicht nur denjenigen, die ein High-End-Endgerät haben.” Das realisieren sie auch mit ihrem aktuellen Projekt “Glückauf” – ein virtuelles Bergwerk zum Ende des Steinkohlebergbaus in Deutschland – und bringen es in einem umgebauten Ü-Wagen sogar persönlich zu den Nutzern. “Das Ganze nennen wir 4D-Experience, weil wir zusätzlich zu dem immersiven Erlebnis auch noch mit Wind und Hitze arbeiten”, so Domke. Bei “Glückauf” seien sie das erste Mal in Richtung Gaming gegangen, der Nutzer kann in der VR-Anwendung selbst Bergmann sein. Das scheint dem Publikum zu gefallen: “Ich kann mich an nichts anderes erinnern, wo Leute bei der Gamescom eine Dreiviertelstunde für WDR-Content angestanden haben”, sagt Domke.

Diskussionsrunde über digitale journalistische Präsentationsformen. Foto: Daniel Kunkel

Diskussionsrunde über digitale journalistische Präsentationsformen. Foto: Daniel Kunkel

Inhalte durch die Hintertür

Auf diese Weise erreiche man Leute, “die die drei Buchstaben WDR nicht mehr kennen”, ergänzt David Ohrndorf, “du bist auf einmal in Kontakt mit Leuten, die du sonst nicht mehr kriegen würdest.” Man würde die Nutzer mit VR-Inhalten auf eine sehr emotionale Weise erreichen: “Innerhalb der ersten 30 Sekunden ist das so spannend, dass wir die Inhalte vermitteln können, die wir vermitteln möchten.” Und Stefan Domke ergänzt: “Dass der WDR sich da mal auf Abwege traut, wo er keine Masse erreicht, ist gut. Denn wer sich das angesehen hat, erzählt es auf jeden Fall weiter. Und das hat wieder Rückwirkungen auf die Marke.”

Doch kann sich nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk solche Experimente leisten? “Es gibt Medienhäuser, bei denen ich das Gefühl habe, die haben gar kein Interesse an digitalen Innovationen”, schätzt Domke ein, “andere, wie zum Beispiel die Berliner Morgenpost, wenn ich da arbeiten würde, wären die Inhalte zwar andere, aber es wäre eine ähnliche Arbeitsweise, die sicher auch sehr viel Spaß machen würde.” Doch nicht nur die Organisationen konzentrieren sich zu sehr auf das Bestehende, auch junge Kollegen gingen eher in die schon besetzten Bereiche, in denen die Konkurrenz groß sei, derzeit zum Beispiel Social Media. Dabei sei die Entwicklung neuer Formate zwar anspruchsvoll – sie koste Zeit, die einem niemand bezahle – aber sie mache auch Spaß.

Die ideale Geschichte

“Beim multimedialen Storytelling hat man die Möglichkeit, Geschichten so zu erzählen, wie man sie erzählen möchte”, beschreibt David Ohrndorf die Möglichkeiten, “man kann die Medien so einsetzen, wie sie passen. Und das Ziel ist, die ideale Geschichte aufbauen zu können.” Zu den Möglichkeiten von Virtual Reality im rein journalistischen oder gar Nachrichtenbereich befragt, erzählt Stefan Domke von einer immersiven Darstellung von Waldbränden des Weather Channel. Mit unterwegs nutzbarer Hardware könne er sich so auch Nachrichten vorstellen. Und ob sich das dann auch refinanzieren ließe? “Wenn es wirklich Content ist, den ich nur als Bezahlinhalt bekomme, dann bin ich sicher, dass die Leute auch dafür bezahlen”, so Domke.

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