Immer wieder Wiedervereinigung

Veröffentlicht von Vera Lisakowski am

Collage Screenshots Websites
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Collage Screenshots Websites: Lisa Wolf/Grimme-Institut

30 Jahre ist das schon her mit der Wiedervereinigung. Und ein so bedeutendes Ereignis in der Geschichte, dass Berichterstattung und historische Rückblicke noch lange nicht enden. Schon im vergangenen Jahr hatten wir zum Jubiläum der friedlichen Revolution in der DDR so viele Vorschläge im Wettbewerb, dass wir zwei Blogbeiträge daraus machen konnten. Vier der Angebote wurden zum Grimme Online Award 2020 nominiert, eines hat einen Preis bekommen.

Im Fokus: Das Jahr 1990

Screenshot der ARD-Multimedia-Reportage "Wie die D-Mark in den Osten kam".
Screenshot der ARD-Multimedia-Reportage “Wie die D-Mark in den Osten kam”.

In diesem Jahr steht vielfach das Wiedervereinigungsjahr 1990 im Fokus der Vorschläge, die zum Grimme Online Award eingereicht werden. So bei “Wie die D-Mark in den Osten kam”, eine Multimedia-Reportage zu einer Fernsehdokumentation des Bayerischen Rundfunks. Sie zeigt mit vielen Originalausschnitten und neuen Interviews, dass die Währungsunion 1990 eine logistische Herausforderung und eine überstürzte Aktion war – bestens bewachte Geldtransporter mussten innerhalb weniger Monate über 25 Milliarden D-Mark in den Osten bringen. Einen thematisch breiter gefassten Blick auf das Jahr 1990 wirft die “Zeitreise” des Mitteldeutschen Rundfunks insbesondere mit der Chronik des Jahres 1990. Der Schwerpunkt zur Wiedervereinigung beleuchtet in zahlreichen Beiträgen nicht nur das Jahr 1990, sondern auch das Davor und das Danach. Auch die Menschen, die ihre Geschichten beim Podcast-Projekt “Meine Wende, unsere Einheit” des ZDF einreichen, blicken nicht allein auf das Wendejahr. Das Angebot war im letzten Jahr nominiert, inzwischen ist es abgeschlossen und es sind zusätzlich noch Kurzfilme vorhanden.

Historische Aufarbeitung

Screenshot des Podcasts "111 Kilometer Akten" vom BStU.
Screenshot des Podcasts “111 Kilometer Akten” vom BStU.

Auch die Institutionen zur historischen Aufarbeitung vermitteln ihre Tätigkeit im Podcast: Der “BABCast” kommt vom Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. In zwölf Folgen wird das Jahr der Wiedervereinigung 1990 in den Blick genommen und über das Zusammenwachsen verschiedenster Bereiche gesprochen: Sport, Polizei oder Film sind Themen, die die fünf Gastgeber*innen mit Gästen besprechen. Der Podcast “111 Kilometer Akten” des Stasi-Unterlagen-Archivs hat inzwischen 27 Folgen. Hier sprechen der Journalist Maximilian Schönherr und die Sprecherin des BStU, Dagmar Hovestädt, über Arbeit und Aufgaben des Archivs. Sie laden aber auch zahlreiche, sehr unterschiedliche Zeitzeug*innen ein, die die Sicht der Opfer oder der Täter schildern oder historische Ereignisse beleuchten. Auf der Website des BStU findet man außerdem Themendossiers, in deren Einzelbeiträge Originaldokumente eingebunden sind.  

DDR-Vergangenheit

Screenshot der Multimedia-Dokumentation "Der Hoheneck-Komplex" des MDR.
Screenshot der Multimedia-Dokumentation “Der Hoheneck-Komplex” des MDR.

Zu den schlimmen Seiten der DDR gehört zweifelsohne das Frauengefängnis Hoheneck. Die multimediale Dokumentation “Der Hoheneck-Komplex” des Mitteldeutschen Rundfunks macht klar, wie schlimm ein Aufenthalt dort war – Berichte von Zeitzeuginnen werden kombiniert mit Archivaufnahmen, die Geschichte der Burg erzählt, aber auch die Geschichte der Werkstätten dort, in denen Exportwaren für den Westen produziert wurden. In einem 360-Grad-Special kann man sich selbst in Hoheneck umsehen und die verschiedenen Zellen und Gemeinschaftsräume besichtigen.

Natürlich gibt es aber auch schöne Erinnerungen an die DDR. Der Instagram-Kanal “Schwalbenjahre” der Fotografin Jessica Barthel weckt sie. Ehemalige DDR-Bürger*innen zeigen hier ihre alten Familienfotos – jeweils eine Woche lang übernehmen sie den Kanal und erzählen ihre Geschichten zu Fotos aus dem Urlaub oder dem Alltag. Um den Alltag geht es auch in “Alltag Ost” von der Kooperative Berlin. Das Webprojekt entführt mit Fotos und ausführlichen Texten an Alltagsorte in der DDR – und lädt zum Mitmachen ein.

Zu jung für die eigene Erinnerung

Screenshot des Podcasts "Keine Jungpioniere" von Lucas Görlach.
Screenshot des Podcasts “Keine Jungpioniere” von Lucas Görlach.

Das Projekt “Schwalbenjahre” entstand auch aus dem Gedanken heraus, Jüngeren Wissen über den Alltag in der DDR zu vermitteln. Die scheinen sich jetzt besonders für die Zeit der Wende und der Wiedervereinigung zu interessieren – oder aber für ihre Identität und wie sie durch ihre Geburt in den Osten oder Westen des Landes geprägt wurde. Den Podcast “80/82” machen Danny und Alex, die beide die DDR noch als Kinder erlebt haben, jetzt aber in Köln leben. In Rubriken erinnern sie sich, ohne die Hintergründe recherchiert zu haben, präsentieren Rechercheergebnisse zu einem bestimmten Thema – und vermitteln Landeskunde anhand von Biermarken. Etwas später geboren sind Maximilian Werner und Robert Wenzl, die den Podcast “Wo ist der Bus?” machen. Sie erinnern an ein Aufwachsen im Osten in den 1990er Jahren, berichten aber auch von anderen Themen, wie Eliten oder Antisemitismus in der DDR. Bei allen Gesprächen und Themen ist ihnen die Frage nach der ostdeutschen Identität wichtig. Nach der Wende geboren ist auch Lucas Görlach. Der Dresdner Journalist macht den Podcast “Keine Jungpioniere” – und in den Gesprächen mit seinen Gästen geht es darum, wie die “Nachgeborenen” von der DDR geprägt wurden. Der Podcast “Kohl Kids – Leben mit der Einheit” von WDR und MDR geht zur Abwechslung mit zwei Frauen an den Start: Die im Westen geborene Jule Wieler und die im Osten geborene Friederike Schicht sprechen über das, was Ost und West ausmacht – oft auch mit Gästen. Mal keinen Podcast hat Jahrgang 13 der Evangelischen Journalistenschule produziert, sondern das Magazin “Echt jetzt?” mit Webauftritt. Darin geht es um die Entwicklungen seit der Wiedervereinigung – Bio-Landwirtschaft, neu belebte Kirchengemeinden oder die Renaissance der Jugendweihe im Westen.

Nach der Wende

Screenshot des MDR-Webspecials "Wem gehört der Osten?".
Screenshot des MDR-Webspecials “Wem gehört der Osten?”.

Die Nachwendejahre sind auch Thema in zwei eingereichten Webspecials. Von “blühenden Landschaften” ist da aber nicht zu lesen. “Wem gehört der Osten?” von Mitteldeutschem Rundfunk und Hoferichter & Jacobs blickt auf den neu zu verteilenden Besitz in der DDR. Die zu einer Reihe von Fernsehdokumentationen gehörende Multimedia-Reportage schaut dabei besonders, was mit den Wohnungen geschehen ist und wer aktuell um Landbesitz konkurriert. Die Recherche “Die Baseballschlägerjahre” von Christian Bangel für die Zeit geht auf einen Tweet und die darauf folgenden Reaktionen zurück. In sechs Videos spürt er den Ursachen und Auswirkungen von rechter Gewalt im Osten Deutschlands zurück, die er selbst in den 1990er Jahren erfahren hat.

Rassismuserfahrung und Zukunftsangst

Screenshot des Webportals "Gegen uns", ein Gemeinschaftsprojekt des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e. V. und der Opferberatung "Support" des RAA Sachsen e. V.
Screenshot des Webportals “Gegen uns”.

Mit rechter Gewalt setzt sich auch das Portal “Gegen uns” auseinander, ein Gemeinschaftsprojekt des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e. V. und der Opferberatung “Support” des RAA Sachsen e. V. In den einzelnen Episoden berichten Betroffene über ihre Erfahrungen von Gewalt, Ausgrenzung und Kriminalisierung, aber auch von gelebter Solidarität und erfolgreichem Widerstand. Fotos, zeitgeschichtliche Dokumente und Hintergrundtexte ergänzen die Erzählungen. An der Umsetzung beteiligt ist die Out of Focus Medienproduktion, die im vergangenen Jahr für “Eigensinn im Bruderland” einen Preis in der Kategorie Wissen und Bildung erhalten hat. Ein häufiges Opfer von rassistischer Gewalt waren ehemalige Vertragsarbeiter*innen der DDR. Die Online-Präsenz zur Ausstellung “Anderen wurde es schwindelig. 1989/90: Schwarz, jüdisch, migrantisch” portraitiert sie und befragt sie besonders zur Situation im Wendejahr, denn für die aus dem Ausland stammenden Arbeitskräfte bedeutete die Wende vor allem Angst um ihre Zukunft. Auch für andere brachte die Wiedervereinigung nicht das, was sie sich als Ergebnis der friedlichen Revolution vorgestellt hatten. Mit dem Twitter-Account “Die andere Wende” erzählt der frühere Chefredakteur des Neuen Deutschland, Tom Strohschneider, die Geschichte der Reformbewegung in der DDR nach, die vielleicht etwas in Vergessenheit geraten ist. Anhand von tagesgenauen Archivstücken erinnert er daran, dass es kritische Stimmen in der DDR schon länger gab als Herbst 1989 und dass das ursprüngliche Ziel der Protestierenden gar nicht Wiedervereinigung und Kapitalismus waren, sondern ein veränderter Sozialismus mit mehr Freiheiten.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Screenshot des "Deutschland Quiz" des Statistischen Bundesamts.
Screenshot des “Deutschland Quiz” des Statistischen Bundesamts.

30 Jahre vereintes Deutschland bedeuten aber noch lange nicht, dass alle Unterschiede überwunden sind. Genau sie bieten aber auch Gesprächsstoff – zum Beispiel im MDR-Podcast “Von drüben und drüben”. Doreen Jonas aus Oebisfelde an der früheren innerdeutschen Grenze und Mario Köhne aus dem Emsland unterhalten sich über ihre Kindheitserinnerungen – Urlaub, Essen, Einkaufen, den Alltag eben in der DDR und in der BRD. Mit der ostdeutschen Identität beschäftigt sich das Dossier “Ostdeutsch sein. Was heißt das?”, auch vom MDR. Sieben bekannte oder weniger bekannte ostdeutsche Persönlichkeiten haben Essays darüber verfasst, was sie geprägt hat und was für sie Ostdeutschland ausmacht. Beim Verständnis füreinander kann vielleicht auch das “Deutschland Quiz” des Statistischen Bundesamts helfen. Hier muss man statistische Ähnlichkeiten zwischen den Kreisen in Ost und West schätzen: Wie viele Autos, wer macht Abitur und wie ist die Hausarztdichte? Echt schwer. Leichter macht es einem der “Vergleich von Ost und West aus ostdeutscher Sicht” des MDR. In Form einer Scroll-Reportage werden hier verschiedene Themenbereiche – Familie, Bildung oder politisches Klima zum Beispiel – anhand von Statistiken verglichen und im Text erläutert.

Mehr davon?!

Das waren sie, die Vorschläge bisher zum Thema Wiedervereinigung & Co zum Grimme Online Award 2021. Wem das an Medientipps nicht reicht, sollte den “OWNSX Newsletter” der Journalistin Anne Haeming abonnieren. Alle zwei Wochen werden hier neue Beiträge rund um das Ost-West-Thema zusammengetragen. Und wer weitere Tipps hat: Noch bis einschließlich 1. März 2021 ist unser Formular offen!


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