Mit Scrollytelling durch die Welt der Kohlekraftwerke

Veröffentlicht von Interviews Nominierte 2022 am

Screenshot "Wir schalten ab, sie heizen hoch"
Screenshot "Wir schalten ab, sie heizen hoch"
Screenshot “Wir schalten ab, sie heizen hoch”

2020 beschließt der deutsche Bundestag den Ausstieg aus der Kohlestromversorgung – bis 2038. Angesichts der sich dramatisch verändernden Klimalage und dem Fakt, dass Kohlekraft weltweit der größte Einzelfaktor für CO2-Emissionen ist, scheint dies die einzig logische Richtung zu sein. Doch während in Europa die Zahl der laufenden Kohlekraftwerke sinkt, sieht es in großen Teilen der Welt anders aus. ZEIT Online hat sich diesem Thema gewidmet und mit einem Team aus 12 Redakteur*innen, Datenjournalist*innen, Grafiker*innen und Korrespondent*innen eine interaktive Weltkarte zu den aktuellen CO2-Emissionen durch die Energiegewinnung aus Kohle erstellt. Die Leser*innen werden mit Scrollytelling durch die Weltregionen geführt und erhalten dabei Zahlen und Fakten rund um das Thema Kohlekraftwerke. Das Projekt “Wir schalten ab, sie heizen hoch” ist für den Grimme Online Award 2022 in der Kategorie “Information” nominiert.

Zacharias Zacharakis, der als Redakteur an dem Projekt beteiligt war, erzählt im Interview von den Hintergründen und Abläufen des Projekts und wie es in die aktuelle Debatte zum Ausstieg aus der Kohlekraft eingebettet ist.

Das Projekt „Wir schalten ab, sie heizen hoch“ zeigt eindrucksvoll anhand einer Weltkarte, wo auf der Welt Kohlekraftwerke mit welchen Kapazitäten und welchen Emissionen betrieben werden. Der Ausstieg aus der Kohle wurde vom Deutschen Bundestag bereits 2020 beschlossen. Wann entstand die Idee zu diesem Projekt und wie lange dauerte die Umsetzung?

Wir schalten ab, sie heizen hoch
Zacharias Zacharakis (Wir schalten ab, sie heizen hoch). Foto: Rainer Keuenhof / Grimme-Institut

Bei diesem Projekt hatten wir eine außerordentlich lange Vorlaufzeit, die Idee dazu kam uns schon 2019. Damals lief die Debatte um den Kohleausstieg, aber auch generell um die Frage, wie Deutschland mit den Emissionen umgeht, dem eigenen Ausstoß und was man dagegen tun könnte. Dabei kam immer wieder das Argument auf, dass in Deutschland die Kohlekraftwerke runtergefahren werden, aber in anderen Teilen der Welt viele neu gebaut werden. Das war für uns in gewisser Weise der Initialmoment, weil wir uns gefragt haben, wie viele Kraftwerke es denn wirklich gibt, wo sie liegen und wo sie gebaut werden. Ende 2019 hatten wir genug Daten, um anfangen zu können die Karte zu planen und Textideen an unsere Korrespondenten herauszugeben. Durch die Corona-Krise im März 2020 mussten wir das Projekt jedoch erstmal auf Eis legen. Angesichts der Situation war unsere Grafik- und Daten-Abteilung sehr stark mit den Corona-Zahlen beschäftigt, die bei uns auf der Seite auch sehr intensiv aufgearbeitet und grafisch dargestellt wurden. Deswegen hat sich das sehr verzögert und wir haben das Projekt dann erst 2021 wieder aufgegriffen und langsam wieder vorangebracht.

Um dieses Projekt zu realisieren, musste Ihr Team nicht nur zuverlässige Daten recherchieren, sondern auch große Datenmengen visualisieren. Wie groß war Ihr Team und wie waren die Aufgaben verteilt?

Steffen Richter ist in der Auslandsredaktion und ich bin in der Wirtschaftsredaktion. Wir hatten in einer Konferenz über diese Emissionsfrage und Kohle gesprochen, womit die Idee entstand und wir anfingen nach Daten zu suchen. Dann haben wir die Grafiker mit reingeholt, Julius Tröger und Paul Blickle, und haben zusammen überlegt, wie man das Ganze darstellen könnte. Das war die Kerngruppe, in der wir zusammen die Konzeption gemacht, die Texte entworfen und überlegt haben, welche Länder interessant sind und wie wir das Ganze sortieren können. Wir sind dann relativ schnell auf den Web-Dienst Carbon Brief aus Großbritannien gestoßen, die Daten sehr minutiös und über viele Jahre sammeln. Wir sind mit ihnen in Kontakt getreten, haben von unserem Projekt erzählt und was wir gerne machen würden. Sie waren damit einverstanden, uns die aktuellen Zahlen für die Weltkarte zur Verfügung zu stellen. Dann konnten wir loslegen und mit den Korrespondenten sprechen. Dafür haben wir uns angeschaut, welche Regionen besonders interessant sind im Hinblick auf die Entstehung neuer Kraftwerke und Kraftwerke, die im Umbruch sind. Uns erschien es dann am schlüssigsten, direkt Leute vor Ort zu fragen, als es aus der Entfernung zu machen. So hat sich das verteilt, die Korrespondenten haben Steffen Richter und ich betreut. Die Grafikabteilung hat sich um das Datenmaterial gekümmert und geschaut, wie es sich in eine Karte umsetzen lässt. 

Die Korrespondenten kommen ja aus den unterschiedlichsten Regionen der Welt. Wie können wir uns das vorstellen? Wie läuft so eine Zusammenarbeit ab? Vor allem in Hinblick auf die Corona-Pandemie?

Screenshot "Wir schalten ab, sie heizen hoch"
Screenshot “Wir schalten ab, sie heizen hoch”

Wir arbeiten mit diesen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sehr eng zusammen, es sind teilweise feste Korrespondenten, teilweise Journalisten, die irgendwo auf der Welt sind und dort für verschiedenste Medien arbeiten. Wir machen immer mal wieder Texte zusammen oder sie bieten uns welche an, wodurch wir immer wieder in Kontakt miteinander sind. Steffen Richter und ich haben uns nach den Regionen aufgeteilt, die wir sonst auch inhaltlich bearbeiten, damit wir mit den Leuten zusammenarbeiten, die wir schon kennen. Dann sind wir mit den jeweiligen Korrespondentinnen in Kontakt getreten und haben ihnen das Projekt genauer erläutert, sie auf den Stand der Datenlage gebracht und haben gefragt, was aus ihrer Sicht interessant in ihrem Land ist. Heike Buchter zum Beispiel, Korrespondentin für die ZEIT mit Sitz in New York, kenne ich schon sehr gut, da sie auch viele Wirtschaftsthemen bearbeitet. Wir sind zusammen durchgegangen, was man aus den USA erzählen könnte. Wir haben dann mit den Korrespondenten ausgemacht ca. 2.000 bis- 3.000 Zeichen zur jeweiligen Region zu schreiben, wir haben diese Zeichenanzahl gewählt, damit es nicht zu viel an Informationen wird. Dann war unsere Aufgabe, aus diesen Textschnipseln einen Zusammenhang zu schaffen und sie zu kombinieren. 

Das war ja die redaktionelle Arbeit, was genau waren denn die Aufgabenbereiche der Datenjournalisten? Was unterscheidet die vom klassischen Redakteur?

Die Übergänge sind natürlich fließend. Unsere Datenjournalisten befassen sich sehr viel damit, aus welchen Quellen sie gesammelte Daten bekommen. Das können zum Beispiel wissenschaftliche Institute, Stiftungen, Unternehmen oder staatliche Institutionen sein. Das mache ich zum Beispiel auch für Text, aber nicht in dem Umfang, den man braucht, um eine Grafik zu bauen. Die Leute, die wirklich in diesen Datenteams sind, die kennen sich viel besser mit der Quellenlage aus, weil sie ständig in diesen Datenbanken unterwegs sind und Kontakt zu den Dienstleistern haben. Dann schaut man sich auch zusammen das Material an, welche Tabellen es gibt und wie viel die Zahlen hergeben. Aus so einem Set überlegt man dann ganz genau, was ausgesagt wird und was man selber aussagen möchte. Ich als Redakteur habe den Textzugang und stelle Hypothesen auf, wobei der Datenjournalist den Überblick über das Material hat und zusammen versucht man daraus etwas zu formen. Wir wollen dadurch erreichen, dass es interessant und verständlich wird, denn häufig hat man so viel Datenmaterial, dass man auch schnell den Überblick verlieren kann. Dann kommt noch die Frage der Visualisierung dazu, wobei die Datenteams und die Visualisierungsteams auch fließend aufgestellt sind, sodass man Leute hat, die stark an der Programmierung und Visualisierung arbeiten und Leute, die sehr eng an den Zahlen arbeiten. 

Warum haben Sie sich bei der Visualisierung für eine Kombination aus einer Map und Scrollytelling entschieden?

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Screenshot “Wir schalten ab, sie heizen hoch”

Ein Projekt wie unseres kann man sehr unterschiedlich grafisch aufbereiten. Aber bei uns war es auch einfach die Stärke von Julius Trögers Team, die solche Projekte schon sehr lange machen und dadurch die technische Kompetenz haben. Man kann es auch mit einer Weltkarte machen, auf der man alle Länder sieht mit Pfeilen, durch die man auf die Länder klicken kann und dadurch die Information zum jeweiligen Land oder zur Region bekommt. Aber wir haben uns dann entschieden, das durch Scrollytelling darzustellen, da es sich um relativ viele Information handelt und es dadurch leichter für den Leser, die Leserin ist, sich Stück für Stück durch den ganzen Komplex zu lesen. Wir haben dann mit China und Asien angefangen, weil das die Weltregionen sind, wo am meisten Kraftwerke entstehen. Dann kam langsam die Idee mit dem Zoom auf die jeweilige Region. Es hat sehr gut geklappt, das Gefühl zu vermitteln, dass man über eine Weltkarte fliegt. Die nächste Frage war, wie wir den Text einbinden können. Die Hauptaufgabe war dabei, den Text auf das Wichtigste zu fokussieren, weil wir sehr viele Informationen hatten, wirklich sehr viele spannende Texte, aber dadurch, dass es so viele Länder sind, ist es wichtig, dass man es in ein Format und eine Reihenfolge bringt, die interessant bleibt. Zum Schluss war es vor allem Feinarbeit an den Texten und den Zooms, also an den Ausschnitten und an den Farben usw.

Gab es Rückmeldungen dazu, wie das Projekt angekommen ist? Wir haben gesehen, es gibt eine sehr große Kommentarspalte. Wie war die Resonanz zu dem Projekt?

Da die Diskussion ja schon etwas länger läuft, gibt es viele Menschen, die sagen: “Was bringt es, wenn wir in Deutschland jetzt unsere Emissionen so stark herunterfahren, wenn andere neue Kraftwerke bauen?”. Und das ist eigentlich die Hauptargumentation, die sich so auch in den Kommentaren wiederfindet. Die Leute fühlen sich dadurch auch bestätigt und an dem Argument ist ja auch etwas dran. Es sind eben diese zwei oder drei Prozent der weltweiten Emissionen, die Deutschland aktuell produziert. Wir haben das nicht dargestellt, aber man muss auch bedenken, was in China an Energie verbraucht wird, wird auch für die Herstellung von Produkten genutzt, die dann wiederum hier verkauft werden und die wir auch nutzen. Das beispielsweise war auch Gegenstand der Diskussionen in den Kommentaren. 

Haben Sie im Team die Ergebnisse der Recherche auch diskutiert?

Wir schauen natürlich bei solchen Projekten immer, wie sie angenommen werden auf der Seite. Wir sehen ab dem Moment, wo der Text online geht, wie der Text abgerufen wird von den Leserinnen und Lesern. Die ganze Klima-Thematik läuft ein wenig in Wellen. Immer wenn große Diskussionen da sind oder eine große Katastrophe irgendwo stattfindet, zum Beispiel eine große Flut, ist das Interesse besonders groß. Wir haben auch nicht mehr damit gerechnet, dass es zum Beispiel Resonanz durch einen Preis geben könnte. Für den Grimme Online Award wurde der Text  tatsächlich von einem Leser oder einer Leserin eingereicht. Man merkt dann manchmal im Nachhinein, dass Diskussionen stattfinden über einen Text, die sich noch ein Stückchen weiterziehen, an denen man gar nicht mehr beteiligt ist. Teilweise kommen Monate später noch Reaktionen oder Leserbriefe, weil es noch irgendwie, irgendwo aufgegriffen wurde. 

Das bringt uns zu der aktuellen Krise, nämlich den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Bundeswirtschaftsminister Habeck hat schon angekündigt, dass die Kohlekraftwerke in Deutschland eventuell länger laufen würden. Haben diese politischen Entscheidungen Auswirkungen auf Ihr Projekt? Wird die Karte dann neu aufgegriffen oder aktualisiert? 

Screenshot "Wir schalten ab, sie heizen hoch"
Screenshot “Wir schalten ab, sie heizen hoch”

Für diese Karte haben wir das konkret noch nicht geplant, aber das machen wir immer mal wieder. Das Material ist schon vorhanden, auch die Daten werden immer wieder erneuert von Carbon Brief. Je nachdem wie der Stand der Debatte oder die Nachfrage da ist und Leute die Informationen brauchen, wird sowas noch mal aufgegriffen und aktualisiert. Es wäre nicht besonders schwierig, das auf einen neuen Stand zu bringen. Dann würden wir wie damals noch mal die Korrespondenten fragen, was sich geändert hat und welche Zahlen und Texte sie aktualisieren können.

Gibt es nach diesem Projekt schon irgendwelche weitere Pläne für Projekte zum Thema Umwelt- und Klimaschutz?

Da läuft ja immer ziemlich viel parallel. Wir haben unterschiedliche Ressorts, die sich mit dieser Thematik befassen. Bei uns war es Wirtschaft und Politik, aber wir haben zum Beispiel auch das Wissensressort, das da auch sehr intensiv dran arbeitet. Es gibt jetzt den “Energiemonitor”, welcher in eine ähnliche Kategorie fällt. Er stellt mit Zahlen und Daten dar, was der aktuelle Verbrauch ist, was wir an fossilen Brennstoffen in Deutschland brauchen, wie da der Verbrauch runtergeht oder wie wir versuchen, ihn zu mindern. Es läuft in verschiedenen Ressorts immer etwas zu der großen Thematik Klima und Energie, was auch ineinandergreift. Wir arbeiten immer am Inhalt und schauen dann, wer sich mit welchen Themen bisher befasst hat. So werden dann Teams geformt. Das Schöne ist, dass wir in den letzten Jahren viele neue Leute bekommen haben im Bereich Daten und Visualisierung. Da sind noch mal ganz andere Sachen möglich. Die Arbeit mit den Korrespondenten ist auch eine große Bereicherung, die ruft man an oder schreibt eine Mail und dann können die relativ schnell ins Thema einsteigen. Wenn man dazu noch ein richtig starkes Daten- und Visualisierungs-Team hat, kann man auch noch mal ganz andere Darstellungsformen wählen. 

Das Interview führten Abena Wilhelmi und Katrina Constance Dahl. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang “Mehrsprachige Kommunikation” an der TH Köln.

Screenshot: Zacharias Zacharakis vom Projekt “Wir schalten ab, sie heizen hoch”
Screenshot aus Zoom-Interview: Zacharias Zacharakis

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