Tankstellen-Träume in 360°

Veröffentlicht von Britta Stapelbroek am

Screenshot 360°-Video "1.000 Liter" von Friedrich Liechtenstein
Screenshot 360°-Video "1.000 Liter" von Friedrich Liechtenstein
Screenshot 360°-Video “1.000 Liter” von Friedrich Liechtenstein

“Ich könnt noch tausend Liter tanken, bin noch immer nicht am Ziel …”, tönt es aus dem Radio und zu diesen Zeilen steigt Tankstellen-Träumer Friedrich Liechtenstein zu uns in den goldenen Benz. Wir machen es uns in den Ledersitzen bequem. Eskortiert von zwei Motorradrockern beginnt nun ein kleiner Road-Trip durch Berlin, den wir dank Virtual-Reality-Brille fast wie in echt erleben. Unterwegs schauen wir nach rechts und links und sehen tanzende Einhörner oder Passanten, die sich plötzlich zu einem Chor formatieren und mitsingen, zwischendurch regnet es goldenes Konfetti.

Mit seiner zehnteiligen Doku-Reihe “Tankstellen des Glücks“, die auf Arte zu sehen war, ist Liechtenstein in diesem Jahr für den Grimme-Preis nominiert. Angereichert wird die TV-Produktion von dem 360°-Musikvideo zum Titellied “1.000 Liter“ und findet so auch seinen Weg ins Internet. Dort ist es über die Arte360-App und auf Arte Creative abrufbar.

Derartige Spielereien mögen wir vom Grimme Online Award natürlich sehr, wollen wir doch einmal schauen, welche Nominierten des 53. Grimme-Preises noch mit spannenden Angeboten zu ihren Werken im Internet vertreten sind.

Grimme und Games

Wie gut Grimme und Games zusammenpassen, haben wir hier bereits ausgiebig erörtert. Auch einige der Nominierten für den diesjährigen Grimme-Preis haben einen Hang zu spielerischen Ergänzungen ihrer Fernsehsendungen, offenbar besonders beim ZDF.

Screenshot – Spiel zur Serie "Morgen hör ich auf"

Das Spiel zur Serie “Morgen hör ich auf” mit Bastian Pastewka / Screenshot

“Morgen hör ich auf“ heißt die ZDF-Serie mit Bastian Pastewka, die in der Kategorie Fiktion nominiert ist. Im TV druckt er als verschuldeter Familienvater Falschgeld in der eigenen Druckerei, was ihm mächtig Probleme einbringt. Im Spiel gilt es nun, diese Scheine wieder einzusammeln. Unser persönliches Highlight im Spiel: die Zählung der erspielten Punkte. “Pro korrekter Entscheidung bekommt der Spieler 100 Punkte. Das wird addiert mit den Restsekunden, die man am Tagesende noch übrig hat, mal 10. Die Summe daraus wird dann multipliziert mit dem Tag, den man gerade gespielt hat: mal 1 für Tag 1, mal 2 für Tag 2. Als Bonus, wenn man über Facebook Freunde einlädt, erhält man einen globalen Multiplikator von 0,5 Prozent für jeden eingeladenen Freund, bis zu einem Maximum von 10 Prozent.” Da fängt unser TI 30 Solar tatsächlich ein bisschen an zu qualmen.

Screenshot – Game Royal 2, “The Secret of Jannis Island”

Gestrandet auf einer einsamen Insel und weit und breit kein William Cohn / Screenshot “The Secret of Jannis Island”

Jan Böhmermann indes fragt sich, ob man gleichzeitig verhungern und verdursten kann, denn im zweiten Teil des Point-and-Click-Adventures “Game Royal” ist er auf einer einsamen Insel gestrandet. “The Secret of Jannis Island” ist wie schon der erste Teil, “Jäger der verlorenen Glatze”, als App verfügbar. Generell gilt für das “Neo Magazin Royale”, dass es gerade auch online seine Stärken ausspielt. Die neuen Folgen der Show sind zuerst auf der Sendungs-Website verfügbar und werden erst danach im Fernsehen ausgestrahlt. Einzelne Clips laufen auf dem YouTube-Kanal, und unter dem Hashtag der Woche werden Twitter, Facebook und Instagram mit Inhalten versorgt. Für den Grimme-Preis ist Jan Böhmermann in diesem Jahr zwei Mal nominiert, in der Kategorie Unterhaltung sowohl für einen Spezialpreis – nach #varoufake nun für #verafake – als auch für Innovation (“Einspielerschleife”). Jetzt wäre es eigentlich mal an der Zeit, die “großen fünf Grimme-Preis-Nominierungen” zu definieren!

#tatort

Screenshot – Polizei München twittert zum Tatort

Die Polizei München twittert zum Tatort / Screenshot

Aber nicht nur der Pol1z1stensohn, auch die echte Polizei entdeckt die Möglichkeiten von Social Media für die eigenen Zwecke. So hat ihr Facebook-Auftritt der Polizei der abgelegenen Scilly-Inseln, mehreren kleinen Fleckchen Erde mit nicht einmal 2.500 Einwohnern, sagenhafte 57.000 Follower beschert. Ob verwaiste Jungmöwen, gestohlene Anker oder Wildpinkler während der EM 2016, die Officer teilen ihren Arbeitsalltag mit dem Netz und das ist höchst amüsant. Die Münchner Polizei hat es ebenfalls ganz schön raus. Mit der #wiesnwache sorgte sie im vergangenen Jahr für einen viralen Hit auf Twitter, kurze Zeit später nahm sie den Münchner Tatort “Die Wahrheit” ins Kreuzverhör, der in diesem Jahr neben dem Debüt des neuen Dresden-Teams, “Auf einen Schlag“, nominiert ist. Schon lange wird die Reihe jeden Sonntag unter dem Hashtag #tatort von den Zuschauern live kommentiert, den offiziellen Tatort-Twitter-Account gibt es bereits seit 2010. Zum ersten Mal unterzogen ihn nun jedoch Experten dem Faktencheck, kommentierten, teilten Smalltalkwissen und Statistiken zu Kriminalität und Polizeiarbeit. Beamte aus dem Social-Media-Team, der Mordkommission und der Operativen Fallanalyse der Polizei München standen für diese sehr gelungene Aktion zur Verfügung.

Nachlese im Netz

Screenshot – Mediathek ARD Livechat Amoklauf

Der Social TV Livechat zum Themenabend “Amoklauf” in der Mediathek der ARD / Screenshot

Ein ähnliches Angebot gab es parallel zur Ausstrahlung des in der Kategorie Fiktion nominierten Films “Die Stille danach”, bei dem der Autor und Regisseur Nikolaus Leytner sowie die Kriminologin Britta Bannenberg im sog. “Social TV Livechat” der ARD zu einer Diskussion rund um das Thema “Amokläufe in Schulen” einluden.

Überhaupt bieten die Fernsehsender gerade bei gehaltvolleren oder ernsteren Themen ausführliches Zusatzmaterial zu ihren TV-Produktionen in der Mediathek und geben dem Zuschauer so die Möglichkeit, sich tiefer in die Inhalte einzuarbeiten und bei Bedarf auch Hilfsangebote im Netz zu finden.

Endlich Online-Only

Screenshot des Funk-Formats "Truestory"

Illustriert die peinlichen/schrecklichen/lustigen Geschichten seiner Zuschauer: Das Funk-Format “Truestory” / Screenshot

Im vergangenen Jahr konnten erstmalig reine Online-Produktionen für den Grimme-Preis eingereicht werden und gleich fünf an der Zahl sind in diesem Jahr allein aus dem Online-Only-Angebot funk von ARD und ZDF nominiert. Das ist ordentlich, denn dort ist man erst im Oktober 2016 gestartet. Die für funk produzierten Inhalte und Formate laufen völlig losgelöst vom herkömmlichen öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Hörfunkprogramm in der funk-App, auf der eigenen Website oder auf Drittplattformen wie YouTube, Facebook, Instagram oder Snapchat. Was so frisch ist, landet natürlich in der Kategorie Kinder und Jugend/Innovation: Nominierungen gibt es u.a. für die Graphic Novel “Trustory” und die Mystery-Serie “Wishlist”.

Screenshot zu “Der Umzug: Rocket Beans Multiverse”

Von A nach B mit Kind und Kegel / Screenshot “Der Umzug: Rocket Beans Multiverse”

Unter den Nominierten sind nun auch die alten Hasen des Web-TV – die Rocket Beans. Die haben Ende August 2017 ihre Rakete beladen und sind mit Kind und Kegel von twitch zu YouTube umgezogen. Doch statt auf dem einen Kanal den Stecker zu ziehen und diesen in der neuen Heimstatt wieder einzustöpseln, vollziehen die Bohnen den Wechsel standesgemäß und inszenieren ihn mit Einspielern auf gleich fünf verschiedenen Plattformen: twitch, YouTube, TELE 5, Facebook Live und Periscope. Mit diesem Beitrag “Der Umzug: Rocket Beans Multiverse” haben die Bohnen sicherlich ein kleines bisschen deutsche Internet-Fernsehgeschichte geschrieben.

Kennen wir uns nicht?!

Grimme Online Award Preisverleihung 2012, Tim Klimeš bringt Armin Rohde das Twittern bei

Auf der Grimme Online Award Preisverleihung 2012: Tim Klimeš bringt Armin Rohde das Twittern bei

Wie die Rocket-Beans, die 2011 den Publikumspreis des Grimme Online Award gewinnen konnte, damals noch bei MTV und unter dem Titel “Game One”, finden sich unter den diesjährigen Nominierten des Grimme-Preises noch andere, die schon beim Grimme Online Award reüssieren konnten: Mario Sixtus gewann 2007 als “Elektrischer Reporter” den Grimme Online Award in der Kategorie Wissen und Bildung. Jetzt ist er beim Grimme-Preis nominiert in der Kategorie Fiktion für seine Mockumentary “Operation Naked”. Und die AVE Gesellschaft für Fernsehproduktion, namentlich Tim Klimeš, die 2012 den Grimme Online Award für ihr Video-Angebot “140 Sekunden” in der Kategorie Kultur und Unterhaltung gewann (und Armin Rohde das Twittern beibrachte!) zeichnet verantwortlich für die Produktion von “Killerspiele”, nominiert beim Grimme-Preis in der Kategorie Information & Kultur/Serien & Mehrteiler.

Wir sind gespannt, welcher unserer Online-Favoriten beim Grimme-Preis abräumen wird. Am 8. März werden die Preisträger bekannt gegeben, die Preisverleihung findet am 31. März im Theater Marl statt, online lässt sie sich im Livestream verfolgen, alternativ läuft sie einen Abend später im WDR.

Und während beim diesjährigen Grimme-Preis die Entscheidungen bereits gefallen sind, können für den Grimme Online Award noch bis zum 15. März 2017 Vorschläge eingereicht werden.


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