Museen im Internet – und umgekehrt!

Veröffentlicht von Vera Lisakowski am

Die Arbeit “Internet Cache” von Evan Roth. Foto: Vera Lisakowski

Museen sind im Internet. Das ist ganz normal. Einige bieten sogar deutlich mehr, als den Standard-Auftritt, wie das Frankfurter Städel Museum, das für sein “Digitorial” zur Ausstellung “Monet und die Geburt des Impressionismus” in diesem Jahr den Grimme Online Award erhalten hat, das aber auch seine Sammlung im Internet veröffentlicht. Und umgekehrt? Das Internet ist im Museum angekommen, im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe ist gerade die Schau “When we share more than ever” zu Ende gegangen, im Dortmunder U ist “Digitale Folklore” verlängert bis 1.11. 2015.

Aktuell widmet sich das Düsseldorfer NRW-Forum mit der Ausstellung “Ego Update” einem ganz besonderen Aspekt des Internets: dem Selfie.

Düsseldorf, so erklärt der Einführungstext der Ausstellung “Ego Update” im NRW-Forum, sei die Selfie-Hauptstadt Deutschlands. Das “Time”-Magazine habe diese weltweite Erhebung gemacht und Düsseldorf auf Platz 136 gesehen, weit vor Berlin (239) oder Hamburg (257). Es ist davon auszugehen, dass dieses zweifelhafte Ranking nicht der Ausgangspunkt für die Ausstellung ist, mit der Alain Bieber, der vorher bei ARTE Creative war, seinen Einstand als künstlerischer Leiter des NRW-Forums gibt. Vielmehr ein Anstoß ist wohl die Annahme, dass sich die Frage nach der eigenen Identität angesichts der digitalen Medien verändert. Und dies wiederum hat Einfluss auf die Gesellschaft.

Besonders reflektiert geht es in der Ausstellung dann aber zunächst nicht zu: Eltern fotografieren, wie ihre Babys begeistert vor die überall aufgestellten Spiegelwände krabbeln, sie filmen ihre Knirpse in der Halfpipe mit Fuß-Fotos und machen schlussendlich ein Selfie mit der Bronze-Büste von MC Fitti – wird natürlich sofort bei Facebook hochgeladen.

Bronzebüste von MC Fitti vor "The Middle Finger" von Guido Segni. Foto: Vera Lisakowski

Bronzebüste von MC Fitti vor “The Middle Finger” von Guido Segni. Foto: Vera Lisakowski

Wendet man sich aber vom eigenen Handy ab und den Ausstellungsstücken zu und taucht in die Welt der vielen Portraits ein, kann man schon ins Grübeln kommen. Vielleicht nicht über die eigene Rolle in der Selfie-Mania, aber darüber, wie sich ein digitales Ich zusammensetzt. Ein künstlerisches Nachdenken darüber gab es natürlich schon bevor das Wort “Selfie” in unserem Sprachraum überhaupt auftauchte, wie unter anderem die berührende Fotoserie “Alter Ego” (2002-2008) von Robbie Cooper beweist. Er stellt Portraits von Online-Spielern ihren Avataren gegenüber. Die Ähnlichkeit ist verblüffend, aber der Avatar ist doch immer ein kleines bisschen besser als das Original, scheint etwas zu können, was der Spieler nicht kann, ist schlanker, hat mehr Muskeln, ist schöner.

Ein Spiel mit Identitäten betreibt auch Andreas Schmidt mit der Fälschung. Nein, der Fälschung der Fälschung, oder vielmehr des Fälschers. Die Serie “Fake Fake Art” zeigt berühmte Künstler wie Gerhard Richter oder Andy Warhol mit ihren Werken. Es sind aber weder die Künstler noch ihre Werke, es sind Fälschungen, die ursprünglich der Fotograf Michael Wolf mit ihren chinesischen Fälschern fotografiert hatte – und denen Andreas Schmidt wiederum die Köpfe der echten Künstler aufmontierte. Klingt kompliziert? Ja, durch diese ganzen Ebenen muss man erstmal durchsteigen.

Ebenso ins Grübeln kommt der Betrachter bei “Confidential” von Alison Jackson. Eigentlich ganz normale Prominenten-Portraits, mit einem privaten Touch. Aber Moment? Ganz sicher haben Angela Merkel und Francois Hollande nicht gemeinsam im Bett Brezeln und Croissants gefrühstückt. Und wenn, hätten sie sich nicht dabei fotografieren lassen. Genausowenig wie die Royal Family jemals ein Foto von William und Kate in der Badewanne veröffentlichen würde. Wir wissen also, dass es Fake ist, trotzdem schauen wir es gerne an – könnte ja sein, dass das Privatleben der Celebritys genau so aussieht.

"Autoportraits" von Prominenten, ein Werk von Jonas Unger. Foto: Vera Lisakowski

“Autoportraits” von Prominenten, ein Werk von Jonas Unger. Foto: Vera Lisakowski

Während man bei den Promi-Fotos in die lustvolle Rolle des Voyeurs gerät, gibt es durchaus auch Exponate, die beunruhigen: Bei “Stranger Visions” generiert die US-Künstlerin Heather Dewey-Hagborg aus gefundener DNS – ein Kaugummi oder ein Zigarettenstummel – 3D-Portraits. Sie hängen an der Wand, darunter eine Kiste mit Fotos des Fundortes und dem Träger des genetischen Materials. Zwar kein Selfie, aber umso gruseliger. Ein Selfie der anderen Art liefert auch Evan Roth: “Internet Cache Portrait” verdeutlicht, wie sehr die Seiten, die wir im Web besuchen, ein Bild von uns machen. Noch ein etwas anderes Selbstbildnis zeigen die wunderbaren “Monkey Selfies” des Tierfotografen David Slater. Die knappen Anspielungen zu der Urheberrechtsdebatte kann allerdings nur verstehen, wer mitbekommen hat, wie diskutiert wurde und wird, ob das Foto gemeinfrei ist, weil das Urheberrecht nur die Kreativität des Menschen schützt, oder ob es beim (menschlichen) Eigentümer der Fotoausrüstung liegt.

Neben viel Reflektion gibt es in der Schau natürlich auch die Show: Selfies von Prominenten, die der Fotograf Jonas Unger “Autoportraits” nennt oder die Bilder von zwei Jungs, die sich auf Hochhäusern fotografieren. Das ist spektakulär und schön anzusehen, aber mehr auch nicht. Und letzteres auch ziemlich dumm. Wie passend, dass gerade die Meldung kam, dass in diesem Jahr bereits mehr Menschen beim Selfies-Schießen ums Leben gekommen sind, als bei Haiangriffen. Aber Moment – genau dafür hat Martin Parr ein Portrait aus Benidorm parat.

Alles zu entdecken gibt es noch bis zum 17.01.2016 im NRW-Forum Düsseldorf.


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