Alle Hände hoch

Veröffentlicht von Vera Lisakowski am

Preispatin Gisa Flake mit Nicolas Fleißt, Tobias Hölle, Iris Meinhardt, Toma Kubiliute, Melissa Wessel, Pia Billecke, Preisträger*innen für "Hand drauf", Moderator Thilo Jahn und Gebärdensprachdolmetscher Thorsten Rose. Foto: Mareen Meyer/Grimme-Institut
Viele erhobene Hände im Publikum vor einer Bühne mit den Preisträger*innen des Angebotes "Hand drauf". Foto: Mareen Meyer/Grimme-Institut
Preispatin Gisa Flake mit Nicolas Fleißt, Tobias Hölle, Iris Meinhardt, Toma Kubiliute, Melissa Wessel, Pia Billecke, Preisträger*innen für “Hand drauf”, Moderator Thilo Jahn und Gebärdensprachdolmetscher Thorsten Rose. Foto: Mareen Meyer/Grimme-Institut

Was für ein Bild: Lautloser Applaus bei der Preisverleihung zum 23. Grimme Online Award, weil das Angebot “Hand drauf” einen Preis gewinnt. Nein, das ist kein Protest, sondern höchste Ehrerbietung für den Instagramkanal der Informationen von und für gehörlose Menschen in Deutscher Gebärdensprache anbietet – und die Gebärde für Applaus hat sich beim Saalpublikum längst rumgesprochen. Auch wenn beim Grimme Online Award schon mehrfach Projekte nominiert waren, die sich mit Deutscher Gebärdensprache beschäftigen, auch schon eines gewonnen hat (“Die mit den Händen tanzt”, 2017), gehörlose Preisträger*innen haben noch nie auf der Bühne gestanden. Aber Vorbereitung ist alles: Thorsten Rose, einer unserer Gebärdensprachdolmetscher, hatte schon drei Wochen vor der Preisverleihung beruhigt, dass es kein Problem sei, das Gespräch auf der Bühne auch simultan zu übersetzen. Und sich sehr darüber gefreut, dass ausgerechnet dieses Angebot gewinnt, denn er übersetzt oft auch die Redaktionskonferenzen mit gehörlosen und hörenden Teilnehmer*innen. Aber: Er hat vorab natürlich nichts über den Preisgewinn verraten!

Spontaner Einsatz

Eine blonde Frau singt vor blauem Hintergrund in ein Mikrofon, sie gestikuliert mit der rechten Hand. Foto: Mareen Meyer/Grimme-Institut
Preispatin und Showact Gisa Flake. Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Weit weniger Vorbereitung hatte der Showact des Abends: Gisa Flake war als Laudatorin – unter anderem für “Hand drauf” – angefragt. Ihr Aufgabengebiet wurde nach einer Absage am Tag vor der Preisverleihung spontan ausgeweitet. “So kurzfristig hatte ich das noch nie”, bemerkt auch ihr Pianist Thomas Bode. Drei Termine hat er für uns abgesagt (Danke, Danke, Danke!) und irritiert das Publikum gemeinsam mit Gisa Flake gleich zu Beginn mit einem abgewandelten Nina-Hagen-Klassiker: “Du hast das iPad vergessen” – wegen des schusseligen Michael liegen nun alle Urlaubsbilder nur analog vor und können nicht auf Instagram geteilt werden.

Hemdfluencer mit Wissen

Drei weiße Männer stehen lachend auf einer Bühne, der rechte hält ein Mikrofon. Foto: Arkadiusz Goniwiecha/Grimme-Institut
Christof Gertsch und Mikael Krogerus, Preisträger für “Das Ende vom ewigen Eis”. Moderator Thilo Jahn. Foto: Arkadiusz Goniwiecha/Grimme-Institut

Der erste Preispate ist aber der “Hemdfluencer” Gert Scobel, der letztes Jahr den Publikumspreis für sein YouTube-Format “Scobel” bekam, ihn aber krank auf der Couch entgegennehmen musste. Er bekennt “Fernsehen ist 97 Prozent Hemd und 3 Prozent Wissen” und verleiht passend Preise in der Kategorie Wissen und Bildung. Zunächst an Christof Gertsch und Mikael Krogerus, die beiden Autoren des Scrollytellings “Das Ende vom ewigen Eis”, denen er attestiert, die unsichtbare Katastrophe des Abschmelzens des Thwaites-Gletschers ganz nah herangeholt zu haben. Während Scobel bei der ersten Preisvergabe noch erklärt hat, Laudator*innen bei Preisverleihungen zu hassen, die “ewig rummachen” um die Spannung zu steigern, um dann erstmal lange Pausen zu machen, verkündet er seinen nächsten Preisträger kurz und knapp: “Im Takt”. Die multimediale Webdoku über die erschreckende Praxis der Heimerziehung in der DDR habe ihm vor allem auch den Raum gelassen für seine eigene Reaktion bei den emotionalen Inhalten – und ihm eine Welt nahegebracht, die er so nicht kannte. Das gilt sicher auch für den größten Teil des Saalpublikums, die von der Zeitzeugin Yvonne Günther aber sofort mit in diese Zeit genommen werden. “Wir waren eigentlich die bösen Kinder von außen gesehen. Niemand hat uns zugehört”, sagt sie – und ist um so ergriffener, dass nun mit der Online-Doku und vielleicht auch mit dem Grimme Online Award Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt wird. Das Gespräch mit der Zeitzeugin auf der Bühne nimmt das Publikum mit – und auch den Laudator: Die Trophäe zu überreichen gerät irgendwie in Vergessenheit. Die Preisträger*innen müssen danach fragen – aber Gert Scobel gibt sie bereitwillig raus.

Feed the trolls

Hasnain Kazim lächelt verschmitzt Moderator Thilo Jahn an. Foto: Mareen Meyer/Grimme-Institut
Laudator Hasnain Kazim mit Moderator Thilo Jahn. Foto: Mareen Meyer/Grimme-Institut

Damit ist sein Job auch erstmal getan – es gibt eine kleine Spannungspause für die Nominierten mit einem Interview mit der Grimme-Direktorin Frauke Gerlach. Der nächste Preispate ist der Journalist und Autor Hasnain Kazim. Im Netz ist er vor allem für seinen Umgang mit Hatern bekannt: “Meine Vorgehensweise ist: füttere die Trolls, bis sie platzen.” Für Außenstehende sind seine Kommentare der Kommentare überaus amüsant und auch Kazim hält mit Humor viel Belastendes von sich fern, aber “wenn Morddrohungen kommen oder du unter Polizeischutz stehst, geht einem das nahe”, merkt er nachdenklich an.

Erinnern und Technik

Für die Nominierten stellt sich an dieser Stelle die Frage, in welcher Kategorie wir uns befinden. Moderator und Preispate lösen auf: Es gab keinen Einspielfilm mit neuen Nominierten, also befinden wir uns weiterhin in der Kategorie Wissen und Bildung. Und es gibt mindestens einen weiteren Preisträger. Es ist das Projekt “Stolpersteine NRW” des WDR. Und Hasnain Kazim erinnert an die früheren Debatten über die Stolpersteine und bemerkt, “dass man jetzt in NRW Einblick in die Leben der Menschen bekommt, ist der Redaktion des WDR zu verdanken.” Erinnerung spannend aufzubereiten, sei diesem Projekt bestens gelungen. Auf die Bühne kommt das große Team des WDR, aber, so sagt Elena Riedlinger, das ist nur ein kleiner Teil des Teams, ungefähr 280 Initiativen in NRW waren daran beteiligt. Bündeln und vernetzen sei die Hauptarbeit gewesen, ergänzt Stefan Domke. Von der Jury besonders gelobt wurde auch die technische Umsetzung. Anderthalb Jahre hätten sie konzipiert und entworfen, erklärt Tom Koop. Hat sich gelohnt!

Applaus-Vorentscheidung

Ein junger schwarzer Mann hält eine Trophäe in der Hand und grinst, ein weißer Mann hält ihm ein Mikrofon vor das Gesicht. Foto: Mareen Meyer/Grimme-Institut
Stève Hiobi, Preisträger für “DeinBruderStève” und Moderator Thilo Jahn. Foto: Mareen Meyer/Grimme-Institut

Hasnain Kazim bleibt nach der Preisvergabe an “Stolpersteine NRW” auf der Bühne. Wird es noch einen Preis in der Kategorie Wissen und Bildung – mit immerhin neun Nominierten – geben? Nach einem Moment der Unsicherheit ist klar: Nein, es kommt ein Nominierteneinspieler, die Kategorie Information ist dran. Elf Nominierte gibt es in dieser Kategorie – und Zwischenapplaus bei der Vorstellung der Angebote. Den größten bei “DeinBruderStève”. Ob das eine Vorentscheidung ist?

Ja. Hasnain Kazim lobt: “Was wird geschimpft über das Internet und die sozialen Medien – durchaus zurecht. Aber es gibt Leuchttürme. Und so ein Leuchtturm ist Stève Hiobi.” Er berichtet in kurzen TikToks über afrikanische Kultur, Geschichte und Politik – in Afrika selbst, aber auch mit Bezug zu Deutschland. Genau das, was in großen Medien oft fehlt, “wie viele Korrespondenten leisten sie sich in Afrika?”, fragt Hasnain Kazim. So füllt Stève Hiobi eine Lücke – und das sagt er auch selbst: “Es gibt so viele Geschichten zu erzählen. Wenn keiner die Geschichten erzählt, dann erzähle ich sie halt.” Das macht er neben seinem eigentlichen Job. Und wie steht er zu seinem durchaus umstrittenen Hauptkanal TikTok? “Ich liebe TikTok. Man kann auf TikTok alles sagen, was man will. Manchmal hasse ich Tiktok, weil man auf TikTok alles sagen kann, was man will.”

Achtung vor den Träumen

Geben Sie acht” warnt Gisa Flake in ihrem nächsten Song das Publikum – wenn sie von Menschen träumt, die sie nicht mag, sterben diese wirklich. Ein beunruhigendes Szenario, vor allem als sie sich selbst auf einmal nicht mehr so recht leiden kann. Extrem beeindruckend ist aber auch ein Nebenschauplatz dieser Performance, als sie sich reinsteigert und immer schneller wird: Gebärdensprachdolmetscher Thorsten Rose kommt kaum hinterher mit der Übersetzung.

Recherche zu Tabuthema

Eine Frau und ein Mann sitzen im Publikum, sie lachen und umarmen sich. Foto: Mareen Meyer/Grimme-Institut
Miriam Lenz und Valentin Zick, Preisträger*innen für “Schwangerschaftsabbruch in Deutschland”. Foto: Mareen Meyer/Grimme-Institut

Aber weiter in der Kategorie Information. Die nächste Laudatorin ist Aline Abboud, unter anderem Moderatorin der Tagesthemen und des YouTube-Formats “Die da oben”. Sie verkündet als nächsten Preisträger die Correctiv-Lokal-Recherche “Schwangerschaftsabbruch in Deutschland” und erzählt eine sehr persönliche Geschichte, von einer Freundin, die ungewollt schwanger war und große Probleme hatte, sich überhaupt zu informieren, geschweige denn, einen Abbruch durchführen zu lassen. Da hätte die Datenbank, die das Correctiv-Team recherchiert hat, geholfen. Die Recherche dazu war allerdings auch schwer: “Wir haben über Wochen immer wieder nachhaken müssen”, erklärt Miriam Lenz, “öffentliche Kliniken sind auskunftspflichtig. Das sehen die öffentlichen Kliniken allerdings nicht so.” Betroffene zu finden, die ihre – erschreckenden – Geschichten rund um den Schwangerschaftsabbruch erzählen, war hingegen viel einfacher. “Wir haben uns viele Gedanken über das Wording gemacht”, berichtet Miriam Lenz über die Befragung, die sehr gut angenommen wurde. Und zum Schluss appelliert sie noch: “Wir können alle dazu beitragen, das Thema zu entstigmatisieren, indem wir darüber reden.

Wenn der Nerdkram kickt

Neun Personen stehen neben- und hintereinander auf der Bühne und lächeln in Richtung Kamera, eine junge dunkelhaarige Frau streckt eine Glastrophäe nach vorne. Foto: Arkadiusz Goniwiecha / Grimme-Institut
Preispatin Aline Abboud mit dem Team von “Teurer Wohnen”. Foto: Arkadiusz Goniwiecha/Grimme-Institut

Wie Aline Abboud bei ihren Moderationen im Aktuellen mit bedrückenden Nachrichten umgeht, will Thilo Jahn von der Laudatorin wissen: “Ich schauspielere dann”, bekennt sie, besonders wenn es sehr persönlich ist, zum Beispiel bei Nachrichten über den Libanon. Ihr habe es auch sehr geholfen, das Thema dann noch an anderer Stelle aufzunehmen, es zu teilen, um darauf aufmerksam zu machen. Nach der kleinen Gesprächspause wird es wieder spannend für die Nominierten: Wird es einen weiteren Preisträger in der Kategorie Information geben? Immerhin gibt es noch zwei weitere Kategorien, die noch gar nicht zum Zuge gekommen sind. Aber Aline Abboud geht unbeirrt ans Pult und benennt den Podcast “Teurer Wohnen” als Gewinner – woraufhin gut hörbar ein “geil” im Publikum erklingt. “Man dachte wirklich, man weiß schon alles” über das, was mit der Knappheit an Wohnraum gerade in Großstädten zusammenhängt, aber “ich war fassungslos”, sagt Aline Abboud. Gerade dass jeder und jede schon mal mit dem Thema Wohnen konfrontiert gewesen sei, habe dem Podcast sehr geholfen, erklärt Charlotte Thielmann, “es hilft schon sehr, dass sich die Leute diesen Nerdkram anhören.” Denn die Recherche von detektor.fm und radioeins vom rbb geht ziemlich in die Tiefe, zeigt aber auch, dass an der Misere nicht allein skrupellos agierende Immobilienkonzerne schuld sind. Die Schicksale der Mieter hätten Charlotte Thielmann schon sehr mitgenommen, sie aber fand es “emotional noch aufreibender, zu sehen, wie die Politik versucht da ranzugehen, aber einfach immer wieder scheitert.”

Historisch gegen Hetze

Drei Frauen und ein Mann stehen auf der Bühne, auf der Leinwand über ihnen sind eine blonde und eine dunkelhaarige Frau nah zu sehen, eine von ihnen hält ein Mikrofon, die andere eine Trophäe. Foto: Mareen Meyer/Grimme-Institut
Preispatin Gisa Flake und Moderator Thilo Jahn mit Ilona Holzmeier und Karolina Kühn. Foto: Mareen Meyer/Grimme-Institut

Sechs Preise sind schon vergeben. Was bedeutet das für die beiden noch verbleibenden Kategorien? Zunächst mal, dass nun die Kategorie Kultur und Unterhaltung dran ist – und Schauspielerin Gisa Flake zu ihrem eigentlichen Einsatz als Laudatorin kommt. Beantworten muss sie erstmal unangenehme Fußball-Fragen, denn sie ist BVB-Fan und … naja… es gab da kürzlich eine verspielte Meisterschaft. Auch in ihrer Laudatio kann Gisa Flake aber vom Singen nicht lassen: Von “Am Sonntag will mein Süßer mit mir Segeln geh’n” gibt es eine abgewandelte Version schon von 1929, die eine offen schwule Liebesbeziehung in der Eldorado-Bar thematisiert – wie sie mal überrascht festgestellt hat. Und um queeres Leben hauptsächlich in den 1920ern geht es beim Preisträger “TO BE SEEN. queer lives 1900-1950”. “Ein unendlich wichtiger Beitrag gegen den aktuellen Hass und die aktuelle Hetze”, fasst Gisa Flake zusammen. Selbst die Kuratorin der Online-Ausstellung, Karolina Kühn, war überrascht von den recherchierten Inhalten, so “dass es nicht nur queere Clubs gab, sondern auch über 80 lesbische Clubs in Berlin.” Gemeinsam mit Ilona Holzmeier hat sie die physische Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum München ins Netz gebracht. “Uns war klar, dass wir bei dem Thema eine große Sichtbarkeit hervorrufen müssen”, sagt Ilona Holzmeier, “und das ist im Online-Bereich viel mehr möglich, als bei uns im Haus.” Außerdem könne man es auch im Nachhinein, zum Beispiel im Unterricht, nutzen.

Keine Betroffenheit

Auch der achte – und damit letzte – Jurypreis wird in der Kategorie Kultur und Unterhaltung vergeben – an das anfangs bereits erwähnte “Hand drauf”. Es gebe keine Grenzen bei dem Kanal, der die Welt gehörloser und tauber Menschen auch ihr erschließe, meint Gisa Flake, und kein “Achtung, Betroffenheit”.

Auf der Bühne sind die Preisträger*innen erstmal gefordert, dem – meist hörenden – Publikum zu erklären, dass es sich bei der Deutschen Gebärdensprache um eine eigene Sprache mit ganz eigener Grammatik handelt und mediale Angebote in Gebärdensprache so wichtig sind. Und so erklärt auch Melissa Wessel, dass es anfangs sehr wenige Kommentare auf dem Kanal gab. “Wir haben dann festgestellt, dass viele die Kommentarfunktion mit schriftlichen Kommentaren verbinden. Bis wir dann gesagt haben, es gibt auch die Möglichkeit, uns ein Video zuzusenden. Viele gehörlose Menschen schämen sich ihrer Schriftsprache, deshalb schicken sie uns Videos und daraus machen wir einen Kommentar.”

Uiuiui

Blick von der Seite auf die Bühne und das Publikum. Es stehen zwei Personen auf der Bühne, an der Decke sind viele Kronleuchter zu sehen. Foto: Mareen Meyer/Grimme-Institut
Preisverleihung zum Grimme Online Award 2023 am 15. Juni 2023 in der Kölner Flora. Foto: Mareen Meyer/Grimme-Institut

Der achte vergebene Jurypreis bedeutet auch, dass es in der Kategorie Spezial mit immerhin doch zwei Nominierten keinen Preis geben wird. Beim Grimme Online Award konkurrieren alle 28 nominierten Angebote miteinander – es gibt für die Jury keinen Zwang, eine bestimmte Anzahl Preise pro Kategorie zu vergeben. Trotzdem schauen wir den Nominierten-Einspieler in dieser Kategorie, denn unterschlagen wird die Nominierung natürlich nicht.

Die etwas gedrückte Stimmung lockert Gisa Flake genial wieder auf, denn passenderweise heißt ihr letztes Lied “Applaus” und sie meint, dass es vielleicht gar nicht immer um Preise geht, sondern um Anerkennung, die sich auch im Applaus ausdrücken kann.

Gebärdensprach-Fail

Und: Beim nun folgenden Publikumspreis haben alle nominierten Angebote wieder eine Chance. Denn er ist komplett unabhängig von der Jury. Preispatin ist die Comedienne – und Preisträgerin des Grimme Online Award 2021 – Enissa Amani. Auch wenn sie eigentlich für Humor zuständig ist, kommentiert sie gerade auch auf Social Media sehr ernsthaft rassistische oder antidemokratische Tendenzen oder die Lage im Iran. Für sie seit Ende 2022 eine zwiespältige Situation: “Es ist immer beides, es ist viel Hoffnung und Stärke, aber gleichzeitig ist es auch sehr viel Trauer. Ich habe das erste Mal seit langem meinen Vater weinen sehen.” Aber vielleicht, so Amani, setzt sich die Bevölkerung doch noch durch: “Alle Revolutionen der Welt wurden inakkurat bis gar nicht vorhergesagt. Wir wissen es nicht, vielleicht ist es in drei Monaten so weit.”

Am Pult angekommen um den Publikumspreis zu verkünden, ist dann aber doch noch eine lustige Anekdote fällig – ein eigener Gebärdensprache-Fail: Bei einer Standup-Show hatte sie sich in Gebärdensprache “Mir ist wieder eingefallen” beibringen lassen. Falsch ausgeführt kann das heißen “Ich bin eine Sexarbeiterin”. Lachend erklärt Amani: “Dann habe ich die ganze Zeit gesagt ‘mir ist wieder eingefallen, ich bin eine Sexworkerin’ – die hörbehinderten Menschen im Publikum haben sehr gelacht. Alle anderen wussten nicht, was los ist.”

Viele Ideen, zu wenig Zeit

Ein junger blonder Mann strahlt breit in die Kamera, um ihn herum stehen andere Personen die Gläser in den Händen halten. Foto: Mareen Meyer Grimme-Institut
Jonas Bradtke und Cedric Engels von “Doktor Whatson”. Foto: Mareen Meyer/Grimme-Institut

Dann aber schreitet sie zur Tat und verkündet die drei Erstplatzierten des Publikumsvotings, “Schwangerschaftsabbruch in Deutschland”, “Die Flut – Warum musste Johanna sterben” – verbunden mit einer ausdrücklichen Hörempfehlung für diesen berührenden Podcast um die Jahrhundertflut im Ahrtal – und als Sieger: “Doktor Whatson”. “Ich finde nichts schlimmer, als wenn Menschen im wissenschaftlichen Diskurs möglichst hochgestochen klingen wollen”, kommentiert Enissa Amani die anschaulichen Wissenschaftsvideos, “das zeugt nicht von Intelligenz, sondern von Komplexen.”

“Wir versuchen immer ein Edutainment zu finden, das in 10 bis 15 Minuten was Wichtiges erklärt, was mit dem Alltag zu tun hat oder eine soziale Relevanz hat und trotzdem einfach mindblowing ist”, erklärt Cedric Engels, der den Kanal noch als Schüler in seinem Kinderzimmer gegründet und nun eine eigene Produktionsfirma hat. Dieses Jahr wollen sie – neben dem normalen Kanalbetrieb – noch zwei Dokumentationen veröffentlichen. “Wir haben ganz viele Ideen, aber zu wenig Zeit”, schließt er – und das gilt sicher für alle Preisträger und Nominierten an diesem Abend.


2 Comments

Maria · 7. November 2023 at 08:24

Die jüngste Würdigung stiller Ausdrucksformen und visueller Sprachen in kreativen Foren zeugt von einer ermutigenden Veränderung in unserer Gesellschaft. Es ist ein frischer Wind, der uns zeigt, dass Vielfalt und Inklusion nicht nur gehört, sondern auch gesehen und gefühlt werden wollen. Solche Momente sind leuchtende Beispiele dafür, wie die stille Kommunikation ihren verdienten Platz im Rampenlicht findet. Sie erinnern uns daran, dass echte Verständigung über das Gesprochene hinausgeht. Hoffentlich wird diese inklusive Geisteshaltung weiter gedeihen und sich ausweiten, sodass die Stille genauso viel Gewicht trägt wie das Wort.

Vanessa · 7. Februar 2024 at 17:20

Freue mich immer noch riesig für Hasnain Kazim, folge ihm online und bin großer Fan von seiner Spitzfindigkeit. :)
Thema Gebärdensprache: Ich finde es so großartig, dass es ein immer größer werdendes inklusives Angebot gibt. Auch bei größeren Konzerten oder Festivals wird teilweise live übersetzt, das finde ich super!

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