“Der Ort, an dem der andere recht haben könnte.”

Veröffentlicht von Vera Lisakowski am

Lisa Altmeier, Steffi Fetz und Thomas Franke bei Panel I beim Social Community Day 2018, Foto: Georg Jorczyk/Grimme-Institut
Lisa Altmeier, Steffi Fetz und Thomas Franke bei Panel I beim Social Community Day 2018, Foto: Georg Jorczyk/Grimme-Institut
Lisa Altmeier, Steffi Fetz und Thomas Franke bei Panel I beim Social Community Day 2018, Foto: Georg Jorczyk/Grimme-Institut

Oha! Da haben wir ja was angerichtet. Beziehungsweise angeregt. Zum Denken. Nach den beiden Diskussionsrunden zum Thema “Neue Heimat Internet” beim Social Community Day am 26. November haben wir mit einem Umfragetool die Gedanken zur Heimat abgefragt. Und wo zu Beginn der Veranstaltung recht klare Vorstellungen darüber herrschten, was Heimat ist oder sein könnte, kamen am Ende Gedanken wie “anstrengend”, “tbd”, “nicht definierbar” oder “wandelbar”.

Unsere ReferentInnen haben aber auch viel Input geliefert: In der ersten Diskussionsrunde – zur Darstellung von Heimat im Netz – saßen viele Nominierte und Preisträgerinnen des Grimme Online Award 2018 auf dem Podium und haben den Heimatbegriff auseinandergenommen. „Ich würde den Begriff Heimat abschaffen, genauso wie Grenzen oder ähnliches“, provozierte der Journalist Özgür Uludag von „Eine Kirche wird zur Moschee“, „er hat Potenzial zu viel Bösem und Negativem“. Lisa McMinn, die mit anderen Schülern der Henri-Nannen-Schule für das Projekt „Ein deutsches Dorf“ den Ort Werpeloh im Emsland besucht hat, setzte dagegen: „Ich möchte diesen Heimatbegriff gerne den Rechtspopulisten wieder wegnehmen und ihn mit Neuem füllen.“ Über ihr Verständnis von Heimat hätten sich die Schüler der Henri-Nannen-Schule während ihres Projektes viele Gedanken gemacht, berichtete sie: „wir sind alle zwischen 20 und 30 Jahre alt gewesen – ‚wo gehöre ich hin?‘, ‚wer bin ich eigentlich?‘, sind Fragen, die einen in dieser Zeit beschäftigen“.

Özgür Uludag beim Panel I beim Social Community Day 2018, Foto: Georg Jorczyk/Grimme-Institut

Özgür Uludag beim Panel I beim Social Community Day 2018, Foto: Georg Jorczyk/Grimme-Institut

Eine Leerstelle in der Berichterstattung

Auch Lisa Altmeier und Steffi Fetz von „Crowdspondent“ haben für eines ihrer Projekte und ihr Buch „Nix wie Heimat“ unter anderem aus der deutschen Provinz berichtet. „Wir hatten das Gefühl, wir Journalisten hängen dann doch oft in den Großstädten rum“, erzählte Lisa Altmeier über die Idee, „es war der Eindruck, dass wir nicht mit allen oder für alle in Deutschland berichten. Es war auch das, was die Crowd sich von uns gewünscht hat“. „Ich bin selber Journalist und habe gemerkt, dass die Vielfalt der Geschichten gering ist. Ich wollte den stereotypen Geschichten etwas entgegensetzen“, kam auch Frank Joung, der für seinen „Halbe Katoffl Podcast“ Deutsche mit nicht-deutschem Hintergrund interviewt, auf das Thema Vielfalt im Journalismus zu sprechen. Die größte Belohnung sei für ihn, wenn Hörer ihm schrieben, dass sie durch seinen Podcast von einer Lebenswelt erfahren hätten, die ihnen vorher nicht bekannt war. Zum Begriff „Heimat“ hätten seine Gesprächspartner hingegen manchmal gar keinen Bezug: „Wenn wir von Heimat reden, ist es einmal Zuhause und einmal die Erinnerung an früher. Die Leute, mit denen ich spreche, haben oft nicht den einen Ort, den sie als Heimat betrachten.“ Sie seien an verschiedenen Orten aufgewachsen, Kinder von Eltern aus unterschiedlichen Ländern mit Verwandten und Freunden in der ganzen Welt.

Frank Joung beim Panel I beim Social Community Day 2018, Foto: Georg Jorczyc/Grimme-Institut

Frank Joung beim Panel I beim Social Community Day 2018, Foto: Georg Jorczyc/Grimme-Institut

Heimat aus der Ferne betrachtet

Für Deutsche scheint sich dagegen der Heimatbegriff in der Fremde erst zu schärfen: „Am besten hat sich ‚Heimat‘ für uns in Japan definiert“ berichtete Steffi Fetz von „Crowdspondent“, „wir mussten uns dort an Regeln halten, die wir nicht kennen, die wir vielleicht auch gerade erst kennenlernen.“ „Man kann mehr über seine Heimat erfahren, wenn man sie verlässt“, bekräftigte der Auslandskorrespondent Thomas Franke, „je weiter ich weg bin, desto eher stelle ich fest, dass es einen gemeinsamen Raum gibt – Europa – in dem ich mich zu Hause fühle“. Genau dieses Gefühl fehlt aber vielen Menschen in Deutschland, denjenigen nämlich, die nicht der Mehrheitsgesellschaft entstammen. So sagte Frank Joung, als Kind koreanischer Eltern in Deutschland geboren: „Das Schlimmste ist das Gefühl, das viele Halbe Kartoffeln haben, dass sie hier zu Hause sind, dass sie Deutsche sind. Und dann kommen andere, die sagen, dass du hier nicht zu Hause bist, dass du dich integrieren musst. Das schmerzt.“ Und Özgür Uludag ergänzte: „Ich kann in Deutschland mit einem Deutschlandhütchen, einer Fahne und einem Bier ein Deutschlandspiel sehen, und die Deutschen werden immer noch sagen, dass ich ein Türke bin. Ich kann mich nicht mehr integrieren, als mich die Mehrheitsgesellschaft integriert.“ Erst, wenn niemand mehr von Integration rede, hätten wir es geschafft. Erstaunlicherweise stieß er bei seinem Projekt „Eine Kirche wird zur Moschee“ über die Umwidmung einer evangelischen Kirche nur auf wenige Vorbehalte. „Die kritischen Stimmen kamen nicht aus dem Stadtteil“, berichtete Özgür Uludag auf dem Podium, „Hamburg Horn ist ein Arbeiterviertel, da wohnten schon immer viele Araber und Türken, die Senioren kennen eben die Familie Yilmaz von nebenan, die machen keinen Terroranschlag, das wissen die. Es sind ja oft die Leute, die mit Muslimen Probleme haben, die gar keine kennen.“

Saalpublikum beim Social Community Day 2018, Foto: Georg Jorczyc/Grimme-Institut

Saalpublikum beim Social Community Day 2018, Foto: Georg Jorczyc/Grimme-Institut

Menschen zusammenbringen

Das, was im direkten Umfeld fehlt, kann aber vielleicht das Internet nahebringen – meint zumindest Frank Joung: „Das Gute am Internet ist ja, dass es da keine Grenzen gibt und dass es Nischen zulässt. Jeder kann sich da wiederfinden. Ich merke das an meinem Projekt, dass es viele Halbe Kartoffeln gibt, die sich dadurch nicht mehr so alleine fühlen, weil sie sonst in ihrem direkten Umfeld keine haben.“ Auch Lisa Altmeier sieht bei ihrem Projekt „Crowdspondent“ Input-Potential für die Nutzer: „Es ist unser ausdrücklicher Wunsch, dass wir sehr unterschiedliche Leute haben und dass wir ihnen eine Ebene ermöglichen, auf der man ins Gespräch kommen und sich austauschen kann.“ Das Internet braucht es nicht für den Austausch auf dem Dorf, berichtete Lisa McMinn noch einmal von der Recherche in Werpeloh: „Das wichtigste Medium dieses Dorfes ist der Bäcker. Das ist der einzige Laden dort und dort findet alles statt.“ Es gebe allerdings sehr kleinräumliche WhatsApp-Gruppen, über die viel kommuniziert würde. Und das ist im Prinzip auch schon die Essenz des Heimatbegriffs, wie ihn Lisa Altmeier zusammenfasste: „Für mich ist Heimat ein Ort, an dem ich mich wohlfühle, ein Ort, an dem Menschen, die ich mag, zusammenkommen. Egal, ob das analog oder digital ist.“

Community als Heimat

Male Stüssel beim Panel II beim Social Community Day 2018, Foto: Georg Jorczyc/Grimme-Institut

Male Stüssel beim Panel II beim Social Community Day 2018, Foto: Georg Jorczyc/Grimme-Institut

Mit dem Heimatbegriff ging es auch beim zweiten Panel weiter, bei dem die Referenten darüber diskutierten, wie das Internet die Heimat erweitern oder vielleicht sogar zur Heimat werden kann. „Wir benutzen den Begriff Heimat so gut wie gar nicht auf der Seite. Ich weiß auch nicht, ob wir es schaffen, eine Heimat zu geben, aber wir schaffen es, die Heimat zu erklären“, erläuterte Male Stüssel von „WDRforyou“. Das Projekt gibt neu nach Deutschland gekommenen Menschen hauptsächlich über Facebook Informationen über ihr neues Heimatland. Die „Mädelsabende“ auf Instagram, ein Format, das der WDR für funk – das junge Angebot von ARD und ZDF – produziert, möchte seinen Nutzerinnen schon so etwas wie eine Heimat bieten: „Wir wollen unseren Userinnen einen geschützten Raum geben, wo sie über Themen sprechen können, über die sie mit anderen nicht sprechen können. Die Leute wollen das und brauchen das“, erklärte Clare Devlin, eine der Presenterinnen. „Man kann sich sowohl an einem physischen Ort und mit physischen Menschen zu Hause fühlen oder eine Heimat haben – man kann das aber auch online haben.“ Die Community der Mädels hat sich aber nicht zufällig ergeben: „Wir sind von Tag eins in den Austausch gegangen mit denen, haben auf jede Nachricht geantwortet. Das hat zur Folge, dass wir eine sehr nette Community haben, da gibt es keinen Hass“, berichtete Clare Devlin. Und auch Male Stüssel schwärmt von der Community bei „WDRforyou“: „Es hat sich von Anfang an ein Vertrauen in der Community aufgebaut. Wenn unsere Moderatoren etwas erklären, haben die Nutzer ein größeres Vertrauen, als wenn Frau Müller auf dem Amt das erklärt.“

Clare Devlin beim Panel II beim Social Community Day 2018, Foto: Georg Jorczyc/Grimme-Institut

Clare Devlin beim Panel II beim Social Community Day 2018, Foto: Georg Jorczyc/Grimme-Institut

Dankbar für das Internet

Die Aktivisten, die sich bei „Reconquista Internet“ engagieren, beobachten hingegen im Netz ein ganz anderes Verhalten: „Wir haben festgestellt, dass sich der Ton verändert, auch die Grenze des Sagbaren verschiebt sich“, berichtete einer der Engagierten auf dem Podium, „das ist ein Problem, weil es sich auch in der Wirklichkeit durchschlägt.“ Bei Hasskommentaren oder gezielten Falschinformationen setzt die Community von „Reconquista Internet“ mit ihren Kommentaren etwas entgegen. Der Journalist und Autor Dirk von Gehlen kann offenbar selbst Hass und Hetze im Netz noch etwas abgewinnen: „Wir nehmen diese Verbindung zwischen den Menschen für so selbstverständlich wahr, dass wir gar nicht mehr darüber reden“, zeigte er eine grundsätzliche Dankbarkeit, dass es das Internet überhaupt gibt, diese Verbindung sei schließlich die Voraussetzung dafür, „dass Leute sich im Internet überhaupt anschreien können.“ Im Prinzip aber möchte Dirk von Gehlen das Netz stärker in das Bewusstsein der Menschen rücken. Unter anderem mit der Aktion „www.internet-strasse.de“, bei der er die Menschen dazu auffordert, einen Antrag auf Benennung einer Straße ihrer Gemeinde in „Internetstraße“ zu stellen.

Heimat aus der Vergangenheit

In umgekehrter Richtung verknüpft die Agentur „Weltenweber“ die Realität mit dem Netz: Sie haben für Demenzpatienten eine Straßenkreuzung in Krefeld nachgebaut, so wie sie früher einmal war. „Damit versuchen wir, den Patienten ein Stück Heimat wiederzugeben“, berichtete Lukas Kuhlendahl, „und anscheinend haben wir die Kreuzung gut getroffen. Die Leute haben sich wirklich daran erinnert“. Eine Heimat im Internet könne Virtual Reality momentan allerdings noch nicht für viele Menschen sein, so Kuhlendahl weiter, dazu sei die Technologie einfach noch nicht verbreitet genug. „Aber es wird kommen“, prophezeite er. Und er hofft, dass die heutigen Technologien Menschen im Alter, die nicht mehr mobil sind, in ein Altenheim oder auf eine Pflegestation müssen, helfen können: „Wenn ich meine Heimat in der Hosentasche mit mir rumtragen kann, kann ich ein bisschen weniger entwurzelt werden.“

Dirk von Gehlen beim Panel II beim Social Community Day 2018, Foto: Georg Jorczyc/Grimme-Institut

Dirk von Gehlen beim Panel II beim Social Community Day 2018, Foto: Georg Jorczyc/Grimme-Institut

Heimatverein für das Internet

Eine Verwurzelung im realen Leben ist für viele Leute der Verein. Am besten ein Heimatverein. Aber ein Heimatverein für das Internet? Dirk von Gehlen möchte genau so einen ins Leben rufen. „Ich möchte eine Lobbyorganisation für Menschen gründen, die im Internet zu Hause sind“, erläuterte er die Hintergründe, und dies auch, um wie klassische Interessenvertretungen in Gremien wirken zu können. Im Verlauf der Diskussion betonte er immer wieder die positiven Aspekte des Internets, das für ihn „ein Beweis dafür ist, dass wir menschheitsgeschichtlich einen Schritt über Rassismus und Nationalismus hinaus sind“. Lukas Bothur von „Reconquista Internet“ ist in dieser Hinsicht nicht ganz so euphorisch, setzten diese sich doch gegen Hass und Hetze im Netz ein. „Wir sind nicht gegen etwas“, berichtete er, „wir sind für Liebe und Vernunft und für einen besseren Diskurs“. Manchmal, wenn man in der falschen Ecke des Netzes lande, so erzählte sein Mitstreiter, helfe aber nur noch, den Rechner zuzuklappen und rauszugehen, „dann merkt man, dass alles nicht so schlimm ist“. Eine Sichtweise, gegen die sich Dirk von Gehlen verwahrte: „Bitte lasst uns aufhören, immer über das Internet als den schlimmen Ort zu reden. Es ist ein Spiegel der Gesellschaft“, relativierte er. Und er wünschte sich, dass wir alle „das Internet als einen Ort sehen könnten, an dem der andere recht haben könnte.“


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