Nicht nur Stoff für Hollywood, sondern auch für Aachen

Veröffentlicht von Interviews Nominierte 2022 am

Screenshot "Narcoland – Das Meth-Kartell im Dreiländereck"
Screenshot "Narcoland – Das Meth-Kartell im Dreiländereck"
Screenshot “Narcoland – Das Meth-Kartell im Dreiländereck”

Spätestens seit dem Serienhit Breaking Bad, in dem ein unscheinbarer Chemielehrer in die Welt der Drogenkriminalität reinrutscht, kennen viele Crystal Meth. Tatsächlich ist diese Droge nicht nur Stoff für Hollywood, sondern vielmehr bittere Realität für viele Abhängige. Vor allem in Amerika, aber auch in Europa verbreitet sich die harte Droge immer weiter. Doch was sind die Hintergründe dafür? Und wieso kochen Angehörige des berüchtigten mexikanischen Sinaloa-Kartells in unserem Nachbarland, den Niederlanden, Meth? Diesen und weiteren Fragen geht der Journalist Alexander Gutsfeld in seinem fünfteiligen Podcast „Narcoland – Das Meth-Kartell im Dreiländereck“ auf den Grund. Doch egal, wie weit seine Recherche ihn führt, alle Spuren laufen wieder in Aachen zusammen. Ist die Stadt vielleicht sogar Zentrum eines internationalen Drogenrings?

Der Podcast „Narcoland“ ist für den Grimme Online Award 2022 in der Kategorie „Information“ nominiert. Im Interview berichtet Alexander Gutsfeld über sein Abenteuer im Dreiländereck, seine Motivation und den Zwiespalt zwischen Zweifel und Neugier.

Vor dem Podcast hast du dich eigentlich eher mit „harmlosen” Themen beschäftigt, ich zitiere: „Als Reporter rede ich mit Kleingärtnern über die rechtlich zugelassene Größe ihrer Hecke und mit Seniorenstudenten über die Tücken des Onlineunterrichts. Die Menschen, die ich interviewt habe, waren im Grunde liebenswürdig.” Das ist schon ein großer Sprung von Kleingärtnern zu weltweiten Drogen-Kartellen. Was waren deine Beweggründe, dich überhaupt mit der Unterwelt, Crystal Meth und den Kartellen auseinanderzusetzen?

Narcoland - Das Meth-Kartell im Dreiländereck
Annika Kasties, Alexander Gutsfeld, Alex Jacobi und Amien Idries (Narcoland – Das Meth-Kartell im Dreiländereck) Foto: Rainer Keuenhof / Grimme-Institut

Ich bin Schüler der Deutschen Journalistenschule und dann gab es ein so genanntes Regional Fellowship, mit dem man für Regionalzeitungen ein digitales Projekt umsetzen durfte. Daraufhin habe ich einfach gegoogelt, welche interessanten Themen es gibt, und mir kam irgendwann Crystal Meth in den Sinn, weil es an der Grenze zu Tschechien sehr viele Meth-Abhängige gibt. Das habe ich schon länger verfolgt und mich gefragt, wie das sein kann. Im Zuge dessen habe ich bemerkt, dass das eigentlich Spannende an der Grenze zu Holland stattfindet: Seit ein paar Jahren wird stetig mehr Crystal Meth in den Niederlanden gekocht und über die Grenze geschafft, was zu strukturellen Änderungen in der Untergrundszene führte. Das fand ich sehr aufregend, weil ich schon lange ein großer Fan von Serien wie Breaking Bad oder Mafiafilmen war. Daraufhin kam mir der Gedanke, dass es im echten Leben ähnliche Phänomene gibt und alles fing an, sich wie ein spannendes Filmskript zu lesen.

So kam ich zu dem Entschluss, dass dieses Thema eventuell perfekt für einen Podcast wäre. Obwohl ich nur sehr wenig Erfahrung mit dem Themengebiet hatte, habe ich mich einfach hineingestürzt, was teilweise auch sehr herausfordernd war, weil ich mir komplett neue Fragen stellen musste. Zum Beispiel, ob das Ganze gefährlich sein könnte für mich oder meine Familie. Größtenteils hat es mir jedoch viel Spaß bereitet und sich im Grunde nicht sonderlich von anderen Projekten unterschieden. Es ist immer dasselbe Handwerk, nämlich Journalismus. Und da folgt man ziemlich ähnlichen Regeln, sprich: viel Recherchearbeit und Personen interviewen.

Wie bist du bei der Auswahl deiner Interviewpartner vorgegangen? Wie hast du deine Quellen gefunden?

Ich habe so viele Leute wie möglich angeschrieben oder angerufen, von Ermittlern über andere Journalisten, Experten bis hin zu einfachen Betroffenen. Und ich habe versucht, über Suchthilfen mit Meth-Abhängigen in Kontakt zu kommen oder mit der Hilfe von Ermittlern an andere Quellen. Ich habe sehr viel herumtelefoniert und einige haben sich schnell gemeldet, wobei es bei anderen wiederum herausfordernd war. Zum Beispiel dachte ich, es könnte schwieriger werden, Crystal-Meth-Abhängige zu finden, die bereit sind, darüber offen zu sprechen – und das auch in ein Mikrofon. Zu meiner Überraschung war dies jedoch weniger der Fall. Anders war es bei den holländischen Polizeiermittlern. Hier hat sich das recht schwierig gestaltet und es hat teilweise über zwei Monate gedauert, bis sich jemand erbarmt hat, mit mir zu reden. Die Gespräche waren auch sehr aufschlussreich, aber sie wollten nur inoffiziell mit mir sprechen, sodass sie nicht im Podcast zu hören sind. Im Nachhinein war das aber von Vorteil, denn so konnten sie mir mehr erzählen.

Schon in der ersten Folge hat man deinen Tatendrang wahrnehmen können. Besonders als du im Taxi unterwegs nach Limburg warst, um das Crystal-Meth-Labor zu betrachten. Ohne wirklichen Schutz oder konkreten Plan bist du zur Scheune gegangen, bis „ein Mann so breit wie ein Türsteher“ dich angehalten hat. Ich zitiere: „Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Also tue ich einfach nichts und warte ab. Eine Sekunde später werde ich nach hinten geschubst.“ Als du wieder zurück im Taxi warst, zu was für einer Einsicht bist du gekommen und wie hast du danach deine Strategie geändert?

Screenshot "Narcoland – Das Meth-Kartell im Dreiländereck"
Screenshot “Narcoland – Das Meth-Kartell im Dreiländereck”

Bevor ich zum Labor gefahren bin, habe ich so eine Situation gar nicht erwartet. Wenn überhaupt, habe ich mit der Polizei gerechnet, weil das Labor bereits entdeckt wurde und so gut wie gar nicht mit jemanden, der möglicherweise mit der kriminellen Szene in Verbindung steht. Deshalb war ich in dem Moment auch so geschockt und weiß bis heute nicht einmal, wer das war. Danach war ich ein wenig angespannt, aber gleichzeitig wuchs der Wunsch in mir, mehr herauszufinden. Nach dem Zwischenfall bin ich noch mal zurück zum Labor gefahren und habe versucht, mit der Polizei zu sprechen, die jedoch nicht mit mir reden wollte. Mir ist klar geworden, dass ich etwas naiv an die Sache herangegangen bin, trotzdem fühlte mich wie auf Adrenalin.

Im Anschluss habe ich mit Benedikt Strunz, einem erfahrenen Investigativ-Journalisten, gesprochen, der mir auch etwas die Augen geöffnet hat und einräumte, dass man mit so etwas immer rechnen muss: dass Personen sich am Tatort nochmal umschauen könnten, versuchen, Beweise verschwinden zu lassen oder ähnliches. Daraus habe ich gelernt und fühlte mich ab dem Punkt ein wenig besser vorbereitet, falls eine ähnliche Situation auftreten sollte. Für den Podcast und die Geschichte war das natürlich das Beste, was mir hätte passieren können. Man ist da immer ein wenig im Zwiespalt zwischen Tatendrang und „alles auf Band haben“ und dem Gedanken, dass ich verantwortungsvoll mit mir selbst und dem ganzen Thema umgehen muss. Das ist immer ein schmaler Grat, und ich weiß nicht, ob mir das immer gelungen ist, aber ich habe auf jeden Fall viel gelernt.

Statt einer klassischen Recherche, die man sich eventuell nur vor dem Computer hockend vorstellen kann, hast du hier buchstäblich ein Abenteuer gewagt, das dich von Aachen über Holland, Belgien, Tschechien wieder zurück nach Deutschland führte. Hattest du mal den Gedanken, das Projekt abzubrechen – besonders nach dem tragischen Tod des größten Crime-Reporters der Niederlande, Peter de Vries?

Nein, das nicht. Ich habe am Anfang der Recherche gezweifelt, ob das Thema groß beziehungsweise wichtig genug ist, weil ich irgendwann rausgefunden habe, dass in NRW gar nicht so viel Crystal Meth konsumiert wird. Da kam mir schon der Gedanke, wozu braucht es diesen Podcast überhaupt? Trotzdem wurde immer deutlich, wie relevant das Thema für die Region ist und sich der Status quo ändern kann, da es in Zukunft mehr Meth-Konsumenten hier geben könnte, eben weil mehr Crystal Meth über die Grenze kommt. Vor allem durch die Entdeckung des Labors und den Tod von Peter de Vries wurde mir das stets wieder bewusst. Zweifel waren da, aber als ich anfing, wusste ich, dass ich es auch zu Ende bringen muss. Nach ein bis zwei Monaten entwickelten sich die Dinge und liefen von allein auch relativ gut. Ich denke, ich hatte da sehr viel Glück mit meiner Recherche.

In welcher Form haben sich deine Bedenken geäußert?

Ich habe mir schon Gedanken gemacht, vor allem, weil ich meine Familie nicht mit hineinziehen wollte. Ich fragte mich, ob vielleicht irgendwann Drohbriefe im Postfach landen könnten. Zwar habe ich nichts Neues aufgedeckt oder Kriminelle bei frischer Tat ertappt und war nicht allzu investigativ unterwegs, aber man hört öfter, dass Personen, die wirklich große Sachen aufdecken, Drohbriefe vom Sinaloa-Kartell bekommen. Aber die Angst, umgebracht zu werden oder ähnliches, hatte ich nicht. Dafür bin ich dann doch zu unwichtig. Ich habe mich auch darüber bei Benedikt Strunz informiert. Der hat mir gesagt, dass man in Deutschland noch sicher ist, wenn man gewisse Vorsichtsmaßnahmen trifft.

Du hast lange an dem Projekt gearbeitet und dadurch wahrscheinlich auch viel über die Droge selbst gelernt. Crystal Meth ist nach Marihuana die am meisten konsumierte Droge der Welt, obwohl sie einen Menschen in kürzester Zeit töten kann. Was denkst du, worin liegt der Reiz?

Screenshot "Narcoland – Das Meth-Kartell im Dreiländereck"
Screenshot “Narcoland – Das Meth-Kartell im Dreiländereck”

Ich glaube, ein Grund, warum die Droge vor allem in den USA so viel konsumiert wird, ist, dass sie sehr leistungssteigernd ist. Das ist sehr kompatibel mit einem stressigen Job. Auch fühlt man sich angeblich unverwundbar, kann extrem lange wach bleiben und die eigenen Komplexe für kurze Zeit vergessen. Weitere Gründe sind die relativ günstige Produktion und der schnelle Weg in die Sucht. Mit Kokain zum Beispiel kann man einfach weniger Profit machen, weil es erstmal aus Lateinamerika in die USA oder nach Europa geschmuggelt werden muss. Crystal Meth kann man hingegen einfach in der eigenen Küche kochen und so sehr viel mehr Geld machen. 

Im Podcast kommen unterschiedliche Stimmen zu Wort zu der Frage, ob mexikanische Drogenkartelle wie das Sinaloa-Kartell auch in Deutschland Fuß fassen können. Was ist deine persönliche Einschätzung dazu, jetzt nach Abschluss deiner Recherche?

Ich denke, im Moment besteht für das Sinaloa-Kartell oder für andere Kartelle relativ wenig Grund, nach Deutschland zu kommen. Da ist eher die Frage, ob sie sich überhaupt in Holland etablieren werden. Es wurden zwar immer wieder Köche gefunden, aber da ist die Frage, inwiefern es sich wirklich lohnt für das Sinaloa-Kartell, sich dauerhaft in Europa oder erstmal in den Niederlanden zu etablieren. Aber falls sie wirklich diese Strategie durchziehen und weiter versuchen, in den Niederlanden Fuß zu fassen, kann es sehr gut sein, dass auch irgendwann in Deutschland mexikanische Köche gefunden werden. Denn ich glaube, Kartelle, Drogenbarone und Banden gehen dorthin, wo am wenigsten nach ihnen gesucht wird. In den Niederlanden erhalten die Ermittlungen durch den Tod von Peter de Vries sehr viel Medienaufmerksamkeit und stehen somit deutlich stärker im Fokus. In Deutschland dagegen haben es, glaube ich, noch nicht so viele auf dem Schirm und deswegen kann es gut sein, dass es auch in Deutschland Meth-Labore gibt, wo Köche Crystal Meth herstellen. Ich würde sagen, gerade müssen wir uns keine Sorgen machen, dass in ein paar Jahren das Sinaloa-Kartell hier Angst und Schrecken verbreitet.

Breaking Bad ist ja deine Lieblingsserie. Unter anderem meintest du, dass sie dir so gut gefällt, weil sie schlicht nichts mit deinem Leben zu tun hat. Hat sich nun nach dem „Abenteuer“ deine Einstellung dazu geändert?

Ich bin immer noch derselbe Typ. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich Teil dieser Welt geworden bin. Aber ich habe mich einfach mehr informiert und habe so ein bisschen an die Tür geklopft und quasi einen Einblick durch das Schlüsselloch bekommen. Ich habe ja auch mit Ex-Kriminellen gesprochen, wie zum Beispiel dem Gangsterpaar, das aber schon im Ruhestand ist. Es war einfach unglaublich spannend, mit Personen zu sprechen, die Teil einer Welt sind, die man eher nur aus Filmen kennt. Und das, was sie mir erzählt haben, hat mich trotzdem sehr stark eben auch an die Filme und Serien erinnert, die ich gesehen habe. 

Hast du jetzt vor, weiter investigativ zu arbeiten und andere Untergrund-Aktivitäten aufzudecken oder möchtest du zu deinen früheren Themen und den liebenswürdigen Interviewpartnern zurückkehren?

Ich würde jetzt nicht sagen, dass ich krass investigativ gearbeitet habe. Ich habe schon im Kleinen Sachen aufgedeckt, aber die große Recherche, nämlich dass das Sinaloa-Kartell Crystal Meth in den Niederlanden oder in Europa kocht, das wurde ja schon vor meiner Recherche aufgedeckt, nämlich unter anderem von Benedikt Strunz und Amrai Coen. Ich habe vor allem Informationen gesammelt und diese versucht, möglichst spannend zu erzählen, und habe kleinere Dinge herausgefunden, die aber noch relativ überschaubar sind. Ich bin mir sicher, da ist noch Raum für mehr, vor allem wenn man mehr Zeit und Ressourcen hat. Ich hoffe, dass ich bei meinem nächsten Podcast über solche Ressourcen verfüge, um investigativer zu arbeiten. Denn genau das macht am Ende am meisten Spaß. Ich habe auf jeden Fall Lust, weiterzumachen und eine längere Geschichte in Form eines Podcast zu erzählen. 

Das Interview führten Margeaux Wendig und Maria Vitaz. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang “Mehrsprachige Kommunikation” an der TH Köln.

Screenshot: Alexander Gutsfeld von Narcoland
Screenshot: Alexander Gutsfeld

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