In der Schwebe – ein Leben zwischen Kommen und Gehen

Veröffentlicht von Seminar Grimme Online Award 2016 am

Titelbild. Foto: Grimme-Institut / Screenshot

Insgesamt sechs Flüchtlinge aus unterschiedlichsten Ländern – ob Syrien, Somalia oder aus der Demokratischen Republik Kongo – berichten in “Sandalen im Schnee” von ihren eigenen Erfahrungen des Ankommens, des unsäglichen Wartens und des alltäglichen Lebens in einer ganz fremden Welt. In Videointerviews und informativen Texten wird das Schweizer Asylsystem – von Ankunft bis Aufenthaltsgenehmigung – erläutert. Aus erster Hand wird aufgezeigt, wie schwierig es ist, sich in einem unbekannten Land zu integrieren, wenn das System es zunächst nicht unbedingt zulässt. Das Medienhaus SRF hat mit seiner Informationswebseite “Sandalen im Schnee” eine multimediale Reportage erschaffen, die einen umfangreichen Einblick in den amtlichen Weg ermöglicht, den Asylbewerber in der Schweiz bewältigen müssen. Zudem informiert die Website über die Asylgesuche der vergangenen Jahre und zeigt somit die Entwicklung der Migration auf. Das Projekt ist in der Kategorie Information für den Grimme Online Award 2016 nominiert. Im Folgenden geben Julian Schmidli, verantwortlich für Text und Interviews, und Timo Grossenbacher, zuständig für Gestaltung und Umsetzung, Auskunft über die Arbeit an der Reportage.

Wie ist die Idee für das Projekt “Sandalen im Schnee” entstanden und wie haben Sie es weiterentwickelt?

Schmidli: Unsere Intention war, den Asylprozess in der Schweiz abzubilden. Es gibt viele Berichte, wie die Flüchtlinge über die Grenze in die Schweiz kommen, aber was dann passiert, wenn sie im Land angekommen sind, wird nur wenig berichtet. An diesem Punkt betreten sie den langen Pfad des Asylprozesses. Was begegnet ihnen dort, welche Geschichten erleben sie? Das war einer der Grundgedanken.
Grossenbacher: Wir wollten den Asylprozess aufzuzeigen, ohne ein langweiliges bürokratisches Auftreten. Das war unter anderem unser Ziel.

Also ist es in gewisser Weise eine Art Aufklärungsversuch?

Schmidli: Genau. Wir haben versucht, Geschichten zu erzählen, aber dennoch alles möglichst korrekt und vollständig abzubilden. Eben auf eine erzählerische Weise, bei der man etwas lernen kann und gerne dabei bleibt. Schon aufklärerisch, aber nicht anklagend, sondern sehr faktenorientiert und nüchtern.

Wie sah die Arbeit am Projekt aus?

Schmidli: Eine Aufgabe war zunächst die Suche der Protagonisten. Wir hatten eine Reihe an unterschiedlichen Berichterstattenden und wollten eine gute Mischung hinbekommen, die auch die Diversität der Flüchtlinge in der Schweiz abbilden kann. Wir haben erst “gecastet”, also Vorinterviews geführt, und schlussendlich auch die Interviews mit den Flüchtlingen vor der Kamera geführt. Danach erst habe ich mich um den Text gekümmert.
Grossenbacher: Ich war zu einem späteren Zeitpunkt involviert und für das Technische zuständig.  Die Website basiert auf einem Tool, das Shorthand heißt. Damit kann ich die Longform, also die längeren Lesestücke, mit Videos und Bildern kombinieren. Da das Tool alleine uns noch nicht ausgereicht hat, um den Asylprozess auch bildlich aufzuzeigen, haben wir noch einige weitere graphische Elemente hinzugefügt. Ich habe Datenvisualisierungen erstellt und in die Webseite eingebettet. Zudem habe ich die Navigation der Website programmiert, sodass man durch bestimmte Icons weiß, in welchem Kapitel man sich befindet und auch zwischen verschiedenen Kapiteln hin- und herspringen kann. Diese Piktogramme, die in Zusammenarbeit mit einem Designer unseres Hauses entstanden, stellen vereinfacht den Asylprozess dar und schaffen einen guten Gesamtüberblick.

War die Suche nach Protagonisten einfach? Sind die Menschen auf Sie zugegangen oder bestanden zunächst Berührungsängste?

Die Protatonisten aus "Sandalen im Schnee", Screenshot

Die Protagonisten aus “Sandalen im Schnee”, Screenshot

Schmidli: Es war sehr unterschiedlich. Entscheidend war eine kleine Organisation in Basel, die sich bereit erklärt hat, uns Leute zu vermitteln. Das hat uns ungemein geholfen, da von Seiten der Asylsuchenden bereits ein Vertrauensverhältnis zur Organisation bestand. Durch diese Vermittlung haben sie auch zu uns schnell Vertrauen gefasst. Es gab allerdings verschiedene Momente, in denen Leute gezögert oder sich auch zurückgezogen haben. Sie hatten Angst, weil der Bericht im Internet und somit weltweit verfügbar ist und sie deshalb Repressionen für ihre Familien befürchteten.
Grossenbacher: So zum Bespiel eine Person aus dem mittleren Osten. Sie war regional bekannt und hatte Angst, schnell erkannt zu werden und im Zuge dessen, sich um das Wohl ihrer Familie sorgen zu müssen.
Schmidli: Am Ende waren aber alle Protagonisten sehr glücklich mit der Darstellung. Denn sie fanden, dass ihre Gefühle, wie sie die Ereignisse erlebt haben, gut repräsentiert wurden. Das ist immer ein gutes Zeichen.

Was waren die Reaktionen seitens der Rezipienten?

Grossenbacher: Das Thema “Asyl” ist in der Schweiz eine hitzige Debatte, so wie in Deutschland wahrscheinlich auch. Auf der Seite selbst können keine Kommentare hinterlassen werden. Es gab allerdings noch einen zweiten Artikel dazu, bei dem sich die Leute austoben konnten. Das haben sie natürlich auch gemacht. Es gab selbstverständlich viele polemische Kommentare, aber diese haben die Newsredakteure bearbeitet. Sonst war das Feedback sehr gut. Insbesondere von unseren Kollegen, weil sie finden, dass ein doch recht trockenes Thema sehr anschaulich aufbereitet wurde.
Schmidli: Auf Social-Media-Seiten war das Ganze auch recht groß.
Grossenbacher: Stimmt. Man muss auch sagen, dass die Thematik nicht unbedingt unser Kerngebiet ist, da wir sonst eher datenjournalistisch arbeiten. Es hat uns auf jeden Fall Spaß gemacht, mal etwas auszuprobieren.

Waren Sie überrascht über die Nominierung für den Grimme Online Award 2016?

Screenshot: Navigation der Webseite und Datenvisualisierung der Asylgesuche. 

Screenshot: Navigation der Webseite und Datenvisualisierung der Asylgesuche.

Grossenbacher: Für mich persönlich kam die Nominierung sehr überraschend, weil der Grimme Online Award ja ein recht großer Preis ist. Ich habe ehrlich gesagt gar nicht damit gerechnet und es freut uns natürlich sehr.
Schmidli: Ich finde, es ist vor allem auch schön für die Thematik. Es ist total schwierig, wenn man herangeht und sagt, wir wollen bewusst nicht wahnsinnig emotional werden oder die extremsten Geschichten erzählen. Wir wollten etwas total Trockenes möglichst real und menschlich abbilden. Das ist ja eigentlich meist etwas, was nicht belohnt wird, weil es irgendwo dazwischen fällt, wenn es eben nicht als “spektakulärste Geschichte aller Zeiten” aufgemacht wird, sondern auch manchmal ein bisschen kompliziert wird. Es ist eine schöne Würdigung, wenn gesagt wird, dass gerade auch so etwas gebraucht wird.
Grossenbacher: Ich muss auch ehrlich sagen, ich habe mir diese Longform lange nicht mehr angeschaut. Damals in der Anfangszeit unseres Teams im November/Dezember 2014 fand ich das Ganze technisch sehr zusammengestückelt. Wenn ich es mir allerdings jetzt ansehe, muss ich sagen, dass es mir technisch doch gut gefällt und dazu auch noch schön aussieht. Im Nachhinein bin ich natürlich sehr froh, für die Arbeit durch die Nominierung noch geehrt zu werden.
Schmidli: Man sieht ja auch, dass es relativ zeitlos ist, wenn man weiterhin findet, dass der Bericht die Thematik immer noch genau trifft. Das ist auch ein Feedback, das ich immer wieder von ganz unterschiedlichen Leuten bekommen habe – auch von Behörden selbst. Sie haben zum Teil Anfragen bekommen, zu deren Beantwortung einfach nur unser Artikel verlinkt und gesagt wurde: “Schaut hier, denn hier ist es einfach am besten beschrieben.” Es ist sehr schön, wenn die Arbeit “das beste Stück zum Thema” wird.

Wie könnte sich ein Gewinn positiv auf Ihr Projekt oder auf zukünftige Projekte auswirken?

Schmidli: Solche Preise sind immer ein wenig wegweisend. Einerseits für die Thematik selbst, aber auch für die Art, wie man etwas erzählt und worüber man erzählt. Wir sind der Überzeugung, dass die Zeiten der großen Leuchttürme vorbei sind. Stattdessen sollte man seine Ressourcen auf solche komplizierteren Sachen aufwenden. Wir wollen versuchen, die komplizierte Realität so zu kommunizieren, dass sie der breiten Masse möglichst zugänglich ist.

Autorin: Johanna Bernhard
Die Interviews mit den Nominierten sind im Rahmen eines Medienpraxis-Seminars an der Universität zu Köln entstanden.


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